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Archiv-Artikel

„Schluss mit prekärer Beschäftigung“

Detlef Wetzel, Chef des wichtigsten IG-Metall-Bezirks Nordrhein-Westfalen, lehnt die Rente mit 67 Jahren ab. Denn kaum ein Arbeitnehmer werde in der Lage sein, sie zu genießen. Außerdem verspricht er eine harte Tarifrunde

taz: Herr Wetzel, SPD-Vizekanzler und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering bringt die Rente mit 67 Ende Januar zur zweiten Lesung in den Bundestag. Was halten Sie als Sozialdemokrat davon?

Detlef Wetzel: Was sagt die Politik denn dem 65-jährigen Dachdecker? Soll der noch zwei Jahre länger auf dem Dach herumklettern? Praktisch wird er hohe Abschläge seiner ohnehin geringen Rente hinnehmen müssen. Ich erwarte von Müntefering, dass er nicht nur abstrakte Probleme löst, während es den Menschen schlechter geht.

Der Dachdecker könnte nach 40 Versicherungsjahren ohne Abschläge in Rente gehen.

Im Einzelfall mag das richtig sein. In Zeiten gebrochener Erwerbsbiografien werden aber nur noch die wenigsten 40 Jahre voll beschäftigt werden. Stattdessen werden die Kollegen bis 67 arbeiten müssen – und dann krank in Rente gehen. Hinzu kommt das Ende der Altersteilzeit, das vielen Jüngeren den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Übrigens: ich kritisiere nicht allein die SPD – die CDU ist doch mindestens genauso verbohrt.

Von denen erwartet aber niemand arbeitnehmerfreundliche Arbeitszeitmodelle.

Dennoch muss die große Koalition zur Kenntnis nehmen, dass sie eine völlig falsche Politik betreibt. Unsere sozialen Sicherungssysteme leiden unter einem von der Politik geschürten Einnahmeproblem: Über drei Millionen nichtsozialversicherungspflichtige Jobs werden subventioniert – reguläre Arbeit wird immer teurer.

Also Schluss mit Minijobs?

Schluss mit allem, was die Sozialversicherungspflicht aushöhlt, was prekäre Beschäftigung bedeutet. Das betrifft nicht nur die Unterschicht. Bedroht sind auch Akademiker, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln – an den Universitäten gibt es schließlich kaum noch feste Jobs.

Und deshalb fordern Sie von Politik und Unternehmen eine „neue soziale Verantwortung“?

Wir leben in einer Ausgrenzungsgesellschaft, die durch konkrete politische Entscheidungen geschaffen wird – etwa durch die Rente mit 67. Zum sogenannten Prekariat gehören aber auch die Jüngeren: Bereits heute sind über 20 Prozent unserer Mitglieder unter dreißig prekär beschäftigt. Die Koalition kann nicht die Augen verschließen, wenn Menschen für fünf, sechs Euro brutto in der Stunde arbeiten müssen.

Also brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn?

Auch. Und zwar mindestens in einer Höhe von 7,15 Euro, etwa im Bereich der Zeitarbeit. Gleichzeitig versuchen wir als Gewerkschaft, unseren Fokus zu erweitern, fordern etwa gleichen Lohn für gleiche Arbeit auch in der oft unterbezahlten Zeitarbeit. Die Politik muss das Gleiche tun und sich um alle Menschen kümmern, die von ihren Entscheidungen betroffen sind.

Wie wollen Sie das durchsetzen?

Über die Öffentlichkeit. Wir haben im vergangenen Jahr viel erreicht: Es wird wieder über Manager diskutiert, die Milliardengewinne einfahren und trotzdem Mitarbeiter entlassen. Ende Januar, wenn die Rente mit 67 zur zweiten Lesung in den Bundestag kommt, wird es aber auch betriebliche Aktionen gebe.

Bei der Übernahme der Siemens-Handysparte durch BenQ haben Sie Arbeitszeitverlängerungen und dem Verzicht auf Urlaubsgeld zugestimmt. Entlassen wird trotzdem. Gehen Sie deshalb mit hohen Forderungen in die neue Tarifrunde?

Nein. Unsere endgültigen Forderungen stellen wir erst am 22. Januar. Klar ist aber, dass die Tarifauseinandersetzung hart wird. Schließlich hat der Metall-Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser bereits erklärt, dass unsere Forderung zu hoch ist, obwohl er sie noch gar nicht kennt – dabei hat er vor kurzem erklärt, dass er für angemessene Lohnerhöhungen ist.

Aber es bleibt bei den von Ihnen angedeuteten fünf Prozent und mehr?

Natürlich. Schließlich läuft die Konjunktur bestens, und an diesem Gewinn müssen die Menschen beteiligt werden. Wozu ist Wirtschaft sonst da?

INTERVIEW: ANDREAS WYPUTTA