Tanz den Adolf Hitler

Politisch picobello korrekt: Wie dem Nazitum schon im frühen Calypso das verdiente Ende gesungen wurde

von JAN FEDDERSEN

Die populärste Zeit hatte diese Musik, besser: dieser Sound in den mittleren bis späten Fünfzigern. Der Mann, der ihn zum Ausdruck brachte, hieß Harry Belafonte. Ein Amerikaner, der den damaligen Mainstream des Swing ignorierte, weil mit ihm keine Karriere mehr zu machen war – und sich statt dessen auf die Klänge verlegte, die er über seine Eltern kannte: Calypso. Ein mitreißendes Gemisch aus allen möglichen Instrumenten, aus Ölfässern, Trompeten, gestopft oder nicht: „Angelina“, „Mathilda“ oder „Goin’ Down Jordan“ hießen seine Hits. Vor allem aber „Island in the Sun“ und „The Banana Boat Song“ waren es, die Belafontes Ruhm begründeten: tanzbare, schmusige, irgendwie sehnsüchtig, nach Schweiß und Lebenslust klingende Melancholien, die sich prächtig gelaunt geben: Welcher Weiße – Frank Sinatra oder Bing Crosby etwa? – hätte diese Musik besser interpretieren können?

Belafonte musste den Calypso nicht erst erfinden, um eine Marktlücke im Showgeschäft zu finden. Calypso war die Musik der westindischen Inseln, von Trinidad, einem Eiland vor Venezuela, der Hafen Port of Spain, ein Sklavenmarkt einst, später mit Tobago, Grenada und Martinique ein Archipel, auf dem sich auch geschlechtlich mischte, was sich mischen wollte.

Die Karibik, ein Alptraum für Menschen, die auf Reinheitsgebote halten: Calypso ist die Musik, die dieses sozial wie ethnisch verquirlte Leben perfekt artikulierte. Offen ist nach wie vor, woher das Wort stammt: Meinte es im kreolischen Dialekt Trink- oder Feierlied? Wurde es im Karneval geboren – Calypso als voodooistisch inspirierte Vokabel, deren Melodie verführt, Körperliches auszuprobieren?

Beim Plattenlabel Decca sind eine Fülle von frühen Aufnahmen dieses Stils publiziert worden, auf Schellack natürlich, bereits in den mittleren Dreißigern. Bear Family Records hat zehn CDs über diese Geburtsjahre des Calypso als weltmusikalische Größe veröffentlicht, wie immer mit quasiwissenschaftlichem Anhang, nobel in einem vielhundertseitigen Buch dokumentiert. Die Autoren der Essays, neben Donald R. Hill auch Denis Malins-Smith und Richard A. Noblett, weisen elegant wie akribisch nach, wie nah am globalen Geschehen der Calypso aus der Decca-Produktion war. Ob in manchen Liedern der Boxkampf zwischen Joe Louis und Max Schmeling Thema war oder Benito Mussolini, in einem Song gar der Bolschewismus und dass er das arme Finnland überfiel („Little Finland, we must help her“), der Calypso war sozusagen stets ein Statement zu den mächtigen Dingen, die die Welt bewegten. „Nazi Spy Ring“, „The Invasion of Poland“, schließlich ein Spottlied auf den britischen Außenminister, der beim Münchner Abkommen 1938 die Tschechoslowakei an das Hitlerregime verkaufte („The Chamberlain Says Peace Calypso“): Dieser Sound war quicklebendig und obendrein politisch picobello korrekt. Im „Hitler Calypso“ heißt es: „You weant recognition of the German race / And now you making trouble all about the place / But if you tackle Britain, your day is come / For they will treat you worse than the old Kaiser William.“

Man könnte auch sagen: Ein Schlachtlied, das so gar nichts von einem Marsch hatte, vielmehr ausgesprochen fröhlich stimmt. Tja, so kam es dann ja auch; die Tage der Nazis waren längst gezählt, als es in diesem Lied noch hieß: „We going to take your head if you come to Trinidad.“ So weit kam es Gott sei Dank (und beim Calypso wird dem Herrn sehr oft gedankt!) nicht. Eine prima Chronik, nicht allein der Verse wegen: einfach eine klasse Mucke.

JAN FEDDERSEN, 49, taz.mag-Redakteur, hörte erste Calypsotöne vermutlich 1958 mit Hilfe von Caterina Valentes „Wo meine Sonne scheint“West Indian Rhythm. Trinidad Calypsos on world and local events featuring the censored recordings – 1938–1940, Bear Family Records, 10 CDs mit einem stark bebilderten 320-Seiten-Buch in englischer Sprache; dortselbst erschien auch die 5-CD-Box „Harry Belafonte. Island in the Sun“ mit weiteren Perlen des Calypsos. Infos: www.bear-family.de