: Mächtige Meinungsmieter
Das Angebot an mietbaren Demonstranten steigt. Der medialen Inszenierung von Interessen kommt dies entgegen. Aber was wird aus dem demokratischen Prinzip der öffentlichen Meinungsäußerung?
VON WOLF SCHMIDT
Demonstrationen sind Momente, an die man sich oft noch Jahre später erinnert. Stullen und eine Thermoskanne Kaffee eingepackt, mit dem Bus zur Demo gefahren, Transparent ausgerollt – und protestieren. Demos sind ein demokratisches Ritual, das nicht zuletzt vom Gemeinschaftsgefühl lebt. Zusammen steht man für eine Sache ein. Für Frieden, gegen Ungerechtigkeit, für Umweltschutz, gegen Atomkraft – egal, ob es hagelt, schneit, oder Tränengas regnet.
Wie würdelos, ja fast schon entweihend, erscheint es da, wenn mächtige Lobbys jetzt anfangen, sich ihre Protestler einzukaufen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat es vorgemacht, als sie vor Weihnachten über einen Hostessenservice Demonstranten für eine Aktion gegen die Gesundheitsreform mietete. Fast 200, gutaussehende und dadurch für die Medien interessante, junge Menschen bildeten vor dem Reichtagsgebäude eine Menschenkette. Die Arztkittel waren nur Kostüm.
Jetzt will die Mietplattform Erento, die bisher Hüpfburgen und Formel-1-Simulatoren im Angebot hatte, groß in den Verleih von Protestlern einsteigen. Sie hofft darauf, dass Verbände mehr und mehr eine „professionelle Inszenierung einer Kundgebung“ schätzen, so das Unternehmen in einer Pressemitteilung. Auch bei Erento eignen sich die Leih-Claqueure sehr gut für die Fernsehkameras. Von Mietdemonstrantin Andrea ist sogar zu erfahren, dass sie BH-Größe 75B trägt. Das klingt skurril und bisher ist auch nicht bekannt, dass Lobbygruppen das neue Angebot gebucht haben. Bedenklich ist es allemal.
Bestellte Demonstranten hat es zwar in der Geschichte der Bundesrepublik schon vorher gegeben. Als der autoritäre Schah von Persien im Juni 1967 zu Besuch in Berlin war, ließ er mitgebrachte Scharen für sich jubeln. Mitte der 70er-Jahre versammelten sich zehntausende Arbeiter im Ruhrgebiet zu Pro-Atom-Demonstrationen. Herangekarrt wurden sie in Werksbussen der Energieunternehmen – die Stullen sollen Gewerkschafter und Betriebsräte geschmiert haben, die auf Seiten der Kraftwerksbetreiber standen.
Doch das Mieten von Meinungen, die Mobilisierung mit Moneten? Das ist eine völlig neue Qualität, findet auch der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. „Das ist eine eklatante Täuschung der Öffentlichkeit“, empört er sich. „Manchen Lobbyisten sind inzwischen offenbar alle Mittel recht, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.“
Anders als bei den bestellten Demonstranten der 60er und 70er fehlt gekauften Demonstranten völlig die ideologische Überzeugung. Sie sind Söldner im politischen Kampf, kämpfen mal an dieser Front, mal an jener. Steht heute „gegen die Gesundheitsreform“ auf den Schildern, kann es morgen schon heißen „Ärzte sind Abzocker“. Je nachdem, welcher Auftraggeber das Geld locker gemacht hat.
Geld aber ist Gift für die Protestkultur: Gemeinschaftsgefühl, Überzeugung, persönlichen Einsatz, all das müssen die Miet-Demonstranten nicht aufbringen. Stattdessen erhalten sie üppiges Honorar. Bei der Miet-Plattform Erento belaufen sich die Tagessätze auf zwischen 100 und 200 Euro. Schön für Studenten, die sich so ein bisschen Geld hinzuverdienen können. Schlecht für die Demokratie.
Denn am Ende zählt im Streit der politischen Meinungen nicht mehr, wer die meisten Leute auf die Straße bringt, sondern wer die meisten Menschen mieten kann. Wobei oft nicht allein die Masse entscheidend ist, sondern die gekonnte Inszenierung des Protests. In den Medien haben 200 Hartz-IV-Demonstranten keinen Platz mehr. Eine geringere Zahl an Menschen, in Arztkitteln vor den Bundestag gestellt, hingegen schon. So wird in der Mediendemokratie Einfluss kaufbar.
Die ersten Staatsrechtler fordern deshalb, das Grundgesetz zu ergänzen, um einen Missbrauch des Demonstrationsrechts zu verhindern. Das hält Protestforscher Dieter Rucht jedoch für Unsinn. „Auf dem gesetzlichen Weg kann man das nicht verhindern“, sagt er. Rucht setzt, ausgerechnet, auf die Medien. Sie sollen die gekauften Proteste aufdecken.
Dass es dann für die Lobbyisten peinlich wird, zeigt der Fall der Kassenärztlichen Vereinigung. Nachdem sie für ihre gekaufte Demo verprügelt worden war, traut ihnen bei Protesten so schnell keiner mehr über den Weg. Glaubwürdigkeit lässt sich eben nur mit echten Demonstranten herstellen. Auch wenn es dafür nur Thermoskannen-Kaffee gibt.