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Archiv-Artikel

Nach Strich und Faden

Um ihre elende soziale Lage zu verbessern, greifen brasilianische Prostituierte zur Selbsthilfe. Mit „Daspu“, einem Label für Mode „von den Huren“ und für Huren – das nicht nur landesweit, sondern inzwischen auch international für Aufsehen sorgt

von ERIKA HARZER

Besser hätte der Ort nicht gewählt werden können. Ausrangierte rostige Bahnwaggons in einem verfallenden Bahnhof, der Estação Barão de Mauá in der Altstadt von Rio de Janeiro, füllen sich bis auf den letzten Platz mit überwiegend jungen Menschen. Selbst vor den Fenstern, auf dem ehemaligen Bahnsteig, drängen sich die Menschen in mehreren Reihen, um etwas von dem Mitternachtsprogramm dieses Kulturhappenings zu erhaschen.

Eine skurrile Szenerie bieten bizarr ausgeleuchtete und von Sprayern bunt bemalte Waggons für die nächtliche Modeshow des brasilianischen Modelabels „Daspu“, was so viel heißt wie „von den Huren“. „Daspu é uma puta parada“, unzählige Male schallt diese Message aus den Boxen und fast alle singen mit. Ein Wortspiel, eines von vielen, mit denen die in Rio de Janeiro ansässige, unabhängige Prostituierten-Organisation Davida in den letzten Monaten den steilen Anstieg ins Rampenlicht der internationalen Öffentlichkeit geschafft hat.

Motto: „Hier schafft die Hure an“

„Daspu – hier schafft die Hure an“, das ist die Message des völlig übersteuert aus den Boxen dröhnenden Funk. Entstanden in den Favelas der Großstädte, hat der brasilianische Funk mit seinen Hiphop-ähnlichen Elementen längst den Einzug in die brasilianische Musikszenerie vollzogen. Ein Film wird ans Waggonende projiziert und die Wartenden hören von der Bewegung der Prostituierten, ihren Forderungen und der Entstehung des Modelabels „Daspu“, dessen Models gleich die neueste T-Shirt-Kollektion zeigen werden.

Es sind keine bekannten Models und schon gar keine, die sonst die Laufstege der Welt mit den neuesten Modetrends ablaufen. Die hier auftretenden Frauen sind entweder selbst Prostituierte, die ansonsten, wenn sie nicht zu solchen bewegenden Events eingeladen sind, an mehreren Stellen der Altstadt Rios, wie z. B. am Praça Tiradentes, oder an der Copacabana anschaffen oder es sind Unterstützerinnen der Prostituiertenbewegung. Sie verbindet ihr Engagement im Kampf für Anerkennung und gegen Stigmatisierung der Prostituierten.

„Daspu é uma puta parada“, so ist auch die Kollektion, die durch den engen Mittelgang der Waggons von den Frauen in schnellen rhythmischen Bewegungen vorgeführt werden. Eine Mischung aus coolen Shirts und flotten Bikinis. Sichtlich genießen die Frauen diesen Auftritt in den engen Durchlässen der Waggons in greifbarer Nähe zu den Zuschauern und verbinden die Präsentation der neuen Kollektion mit berufsmäßiger Annäherung.

„Wahnsinn, wie die Leute hier mitgegangen sind“, sagt die 60-jährige Maria nach der Show. In ihrem hautengen senfgelben Body mit hellblauem Halsband beginnt sie mitten im Catwalk zu tanzen, gefangen von der Musik, dem Applaus und der Begeisterung. Die Luft ist heiß und klebrig, und Maria tänzelt leichtfüßig durch die kaum noch durchlässige Menschenmenge, als ob sie dies jeden Abend machen würde. Sie bewegt sich wie im Rausch und nimmt für alle spürbar diese erlebte Begeisterung mit sich mit. Dabei ist es nicht ihre erste Modeshow.

Maria gehört zur Stammgruppe von Daspu, diesem Label, das geschafft hat, den Laufsteg in eine Demonstration für politische Forderungen zu verwandeln. Eine Woche zuvor lief Maria mit ihren Kolleginnen in São Paulo zur Eröffnung der Biennale, der größten Kunstausstellung Lateinamerikas, auf.

Der slowenische Künstler Tadej Pogacar inszenierte den dortigen Auftritt. Höhepunkt war die Präsentation eines Brautkleids, produziert aus Bettlaken der Stundenhotels Rio de Janeiros mit einem Schleier aus Kondomen.

São Paulo war von viel mehr Medienpräsenz begleitet, dadurch allerdings nicht so „hautnah“ wie der Catwalk in den verlassenen, vom Rost angeschlagenen Waggons, die für eine knappe Stunde mit überschäumendem Leben angefüllt wurden. Maria hätte am liebsten noch fünf weitere Waggons durchtanzt.

Seit es Daspu gibt – und damit auch die verschiedenen Modeshows, mit denen die jeweils neuen Kollektionen von im Alltag stigmatisierten Frauen wie Maria vorgeführt werden –, fühlt sie sich wohl in dieser neuen Zusatzrolle, bei der sie so viel beklatscht, gefilmt und fotografiert wurde wie in ihrem ganzen Leben vorher nicht.

Sie schafft seit mindestens 30 Jahren an und hat sich vor etlichen Jahren Davida angeschlossen: „Daspu hat eine immense Bedeutung, denn das, was wir als Bewegung immer erreichen wollten und nie ganz geschafft haben, ist uns mit Daspu endlich gelungen. Unser Kampf gegen die Stigmatisierung wird endlich wahrgenommen. Die Prostituierte wird zu einem Teil der Gesellschaft, und die Leute beginnen, das Thema Prostitution mehr zu diskutieren. Das hat Daspu erreicht.“

Gabriela Silva Leite, Gründerin und Leiterin von Davida, blickt voller Zufriedenheit auf den bisherigen Erfolg des Modelabels Daspu. Sie ist eine Vorkämpferin in Sachen Rechte der Prostituierten. Bereits 1979 organisierte sie in São Paulo erste Demonstrationen gegen brutale Polizeiübergriffe gegen die Sexarbeiterinnen – damals wurden drei Frauen von der Polizei umgebracht.

1992 gründete sie den Verein Davida, der aktiv für die arbeitsrechtliche Anerkennung als Sexarbeiterinnen und gegen die vorhandene Stigmatisierung, für Aidsprävention, für Gesundheitsvorsorge und für die Organisierung der Frauen kämpft und ein landesweites Netzwerk dafür aufgebaut hat. Mit dieser Bewegung verfolgt Gabriela das Ziel, der „Prostitution Würde zu verleihen“.

Ein für die Betroffenen zwar bedeutendes Thema, das allerdings vom öffentlichen Diskurs und der Berichterstattung nur peripher aufgegriffen wird. Seit Sommer 2005 änderte sich dies schlagartig. „Letzten Sommer kam uns die Idee zum Modelabel. Wir wollten Kleidung machen, die sowohl in der Prostitution als auch im Alltag getragen werden kann.“ Eine geniale Idee, der sie den Namen Daspu verpassten, wieder ein Wortspiel: „Von den Huren“.

Und dieser Name erinnert an „Daslu“, (in etwa: „von den Lucianas“), der teuersten Modeboutique in São Paulo, Treffpunkt der verschwenderischen High Society und seit letzten Sommer in Korruptionsskandale verwickelt. Das Geschäft wurde von der Staatsanwaltschaft wegen Steuerhinterziehung durchsucht und mehrere Teilhaber festgenommen. Angesichts dieser Skandalwelle erscheinen die Argumente der Daslu-Anwälte für die an Davida gerichtete Unterlassungsklage geradezu paradox, Daspu würde Daslus Renommee verunglimpfen. Daspu, das besondere, einzigartige Label ist seither aus den Schlagzeilen nicht mehr wegzudenken.

Catwalk der „Frauen der Straße“

Diese Kombination von sozialpolitischen Forderungen eingebunden in eine peppige Modekollektion und vor allem auch die Modeshows mit „Frauen der Straße“, die ihre eigene Sprache sprechen und verkörpern, trifft auf ein gesellschaftliches Interesse, an dem möglichst viele teilhaben möchten.

Bestellungen boomen und die Produktion kommt der Anfrage kaum hinterher. Das Label hat sowohl innerhalb Brasiliens als auch über die Grenzen hinaus einen Bekanntheitsgrad erreicht, von dem die Aktivistinnen bei Davida früher nicht einmal geträumt haben. Die Kollektion „Auf der Piste“ mit Reifenmotiven, geschaffen für die Zielgruppe der Lastwagenfahrer, einer der größten Kundengruppen der Prostituierten, läuft bestens, und bald soll die neue Dessous-Kollektion vorgestellt werden.

Mit „Modafusion“ besteht bereits eine Partnerschaft zur französischen Lingerie-Designerin Fifi Chachnil, die auch schon Spitzenunterwäsche für Madonna und Nina Hagen kreiert hat. Gabriela Silva Leite, die sich innerhalb der sozialen Bewegungen Brasiliens als Teil einer neuen Richtung sieht, die vor allem von Leuten aus der Peripherie vorangetrieben wird, verspricht sich davon, „dass Brasilien das nächste Land der Welt wird, das die Prostitution als normalen Beruf anerkennt“.