: Alles zum halben Preis
Ob in der Grabeskirche in Jerusalem, der Geburtskirche in Bethlehem, auf dem Berg Herodes oder am See Gennesaret, überall kann man unbehelligt von Touristenmassen die heiligen Stätten besuchen
von GEORG BALTISSEN
Drangvolle Enge herrscht nicht vor dem Damaskustor. Nur wenige Händler bieten hier am Eingang in die Altstadt von Jerusalem ihre Waren feil. Käufer sind hier ebenso Mangelware wie im gesamten Souk, egal ob im christlichen, jüdischen oder muslimischen Viertel der Altstadt. Auch auf dem Haram al-Scharif, dem Tempelberg, gibt es keine fremden Besucher. Nur wenige muslimische Frauen kommen gerade aus der Moschee. Geradezu flehend versuchen Händler in der nahe gelegenen Via Dolorosa die vereinzelten Touristen in ihre Läden zu bitten. Nur wenige Male am Tag haben sie dazu Gelegenheit. Erfolg ist ihnen nur selten vergönnt. Klagen über Klagen. Fünf Jahre Intifada, der Libanonkrieg im vergangenen Sommer und die rigorose Abriegelung vom palästinensischen Hinterland haben deutliche Spuren in der Heiligen Stadt hinterlassen.
Palästinenser aus dem Westjordanland können nur noch mit besonderer israelischer Genehmigung in die Stadt gelangen. Viele solcher Genehmigungen scheint die israelische Regierung nicht zu erteilen. Mahmud Salhab führt sein Schmuckgeschäft im christlichen Viertel in der dritten Generation. Er hat sich auf die Verarbeitung von Steinen spezialisiert, Lapislazuli vor allem. Vier seiner Brüder sind bereits im Ausland, einer in London, einer in Kanada und zwei in den USA. Auch er will gehen. „Ich lasse meine Mutter und zwei Schwestern hier“, sagt er. „Wir können ohnehin nur überleben, weil meine Brüder Geld aus dem Ausland schicken.“
Nur noch 1,14 Prozent der Palästinenser im Heiligen Land sind Christen. Und die Auswanderungswelle hält an. „Arafat war gut“, meint Salhab. Bei Händel mit Muslimen seien die Ansprüche genau geprüft worden. Und nicht selten habe die palästinensische Behörde zugunsten der Christen entschieden. Den israelischen Behörden hält er vor, den Konflikt zwischen Christen und Muslimen gezielt zu schüren. Verfahren über Eigentumsfragen würden von israelischen Gerichten endlos verschleppt und nie zu Ende geführt. „Unter Hamas ist es schlechter als unter Fatah“, resümiert er, „aber immer noch besser als unter den Israelis.“ Viele Christen hätten bei der Parlamentswahl im Januar sogar für Hamas gestimmt. Der Mittvierziger will fürderhin sein Glück in Kanada suchen. Er spricht fließend Englisch.
Auch der Kleinhändler Fatih Abu Adwan, der seinen Souvenirshop schon in der vierten Generation führt, klagt: „So schwierig wie jetzt war es noch nie.“ Die Familie lebe seit 300 Jahren in Jerusalem. Ans Weggehen denke niemand von ihnen, meint Abu Adwan. Sein ältester Sohn nickt etwas zögerlich. Abu Adwan bietet dem fremden Gast den besten Sessel in dem kleinen Laden an, in dem er bisher selbst geruht hat. Und lässt für die zähen Verhandlungen um zwei handbestickte Taschen Kaffee servieren.
Ein paar Ecken weiter, in der Al-Khanqa-Gasse im christlichen Viertel, steht Ibrahim Bader vor seinem Schmuckladen. Er ist bester Laune. „Ich habe heute Morgen ein gutes Geschäft gemacht“, sagt er. „Alles zum halben Preis selbstverständlich.“ Er habe gute Geschäftsverbindungen nach Deutschland, aber auch in andere europäische Länder und denke gar nicht daran, Jerusalem zu verlassen.
Bei den Christen hinter der großen Mauer, in Beit Dschala und Bethlehem, ist die Arbeitslosigkeit wesentlich höher, der Drang zur Auswanderung größer. Während in Bethlehem die Muslime längst die Mehrheit stellen, ist die Bevölkerung des 17.000 Einwohner zählenden Nachbarstädtchens Beit Dschala noch überwiegend christlich. Zu ihnen zählen auch gut 500 evangelische Christen, die von Pfarrer Dschadallah Schehadeh betreut werden. Schehadeh, der in Tübingen und Berlin Theologie studierte, hat in Beit Dschala etwas auf die Beine gestellt, was in Palästina seinesgleichen sucht: die Abrahams-Herberge. Was dem Namen nach wie ein Pilgerhaus mit Pritschen in den Zimmern und Duschen auf dem Flur klingt, ist in Wahrheit eine Nobelherberge. Die Zimmer sind geräumig, das Mobiliar aus geschmackvollem dunklem Holz. Das Bad entspricht höchsten internationalen Standards. Die Empfangshalle ist ein architektonisches Meisterstück. Die bunt bemalten Holzdecken strahlen orientalisches Flair aus, das den luxuriösen Charakter dieser Herberge unterstreicht. Der Umbau dieses 150 Jahre alten Hauses ist mit Spenden finanziert worden, die Pastor Schehadeh in aller Welt, nicht zuletzt in Deutschland aufgetrieben hat. 2,4 Millionen Dollar hat der Umbau gekostet. Baumeister war der Jerusalemer Architekt Bassam Khoury, der schon die Bir-Zeit-Universität gestaltet hat und am Unesco-Projekt Bethlehem 2000 beteiligt war. Dem Hotel angegliedert ist eine Jugendherberge, die in fünf Mehrbettzimmern 40 Personen Platz bietet.
Schehadeh versteht die Abrahams-Herberge als „Friedensprojekt“. Während des Krieges mit der Hisbollah gewährte das Hotel auch arabisch-israelischen Familien aus Galiläa Unterschlupf. Bezahlt wurde dieser Aufenthalt mit Spenden aus Deutschland. Doch die Familien sind längst nach Hause zurückgekehrt. Was dem Hotel fehlt, sind Gäste. Die politische Lage beeinflusst die Auslastung. Während des Streits um die Mohammed-Karikaturen der dänischen Zeitung Jyllands-Posten hätte es viele Absagen aus Skandinavien gegeben, sagt Pastor Schehadeh. Normalerweise hat das Hotel zwanzig Angestellte, derzeit sind es nur sechs. Der Name Abrahams-Herberge sei bewusst gewählt, um zu verdeutlichen, dass man an Menschen aus allen Religionen interessiert sei. „Das Glück des einen Volkes ist vom Glück des anderen abhängig“ lautet der Wahlspruch von Pastor Schehadeh. Er räumt ein, dass vielen seiner Glaubensgenossen die Zeit des Abwartens zu lang wird und sie dem Land auf immer den Rücken kehren.
Während für die Christen im Heiligen Land das Überleben immer schwerer wird, ist eine Reise für christliche Pilger derzeit reiner Genuss. Ob in der Grabeskirche in Jerusalem, der Geburtskirche in Bethlehem, auf dem nahen Herodes-Berg oder am See Gennesaret, überall kann man unbehelligt von drängelnden Besuchern oder gar Touristenmassen die heiligen Stätten besuchen. Und sich von der Bibel inspirieren lassen. Bei einer Bootsfahrt über den See Gennesaret greift der Reiseleiter und Geschäftsführer von „Biblische Reisen“, Dr. Georg Röwekamp, gerne zur Heiligen Schrift. Aus dem Matthäus-Evangelium erzählt er: „Und er drohte dem Wind und der See. Und es trat völlige Stille ein. Was ist dies für ein Mensch, dass ihm sogar die Winde gehorchen?“ Und auf dem Berg der Seligpreisung am Nordufer des Sees Gennesaret liest der promovierte Theologe aus der Bergpredigt vor. „Selig sind die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.“
Von der achteckigen Kirche der Seligpreisung, die ein italienischer Baumeister zu Zeiten Mussolinis wegen der acht Seligpreisungen mit acht Fenstern versehen hat, führt der Weg den Hügel hinunter zum Ort der wunderbaren Brotvermehrung, wo Jesus 5.000 Hungrige mit zwei Fischen und fünf Broten gespeist hat. Auf den Ruinen einer byzantinischen Kapelle aus dem 6. Jahrhundert ist hier mit deutscher Hilfe eine Kirche wiederaufgebaut worden, die erst im Mai 1982 eingeweiht wurde. Am Ufer des Sees in Tabgha, dem Ort der sieben Quellen, besitzt der Deutsche Verein zum Heiligen Land eine Pilgerherberge, die dem Gast einen Ort der Ruhe und Einkehr sein will. Von der Terrasse dieses Hotels blickt man auf die Stadt Tiberias am Nordwestufer des Sees Gennesaret. Zur rechten Hand liegt das Taubental, das zu Jesu Zeit den alten Weg nach Nazareth markierte. Im Hintergrund erhebt sich eine Art Tafelberg, die so genannten Hörner von Hittin, wo im Jahre 1187 die große Schlacht zwischen dem legendären Salaheddin und den Kreuzrittern stattfand.
Die Schönheit dieser Landschaft am See, an dem der Nahostkonflikt Jahrhunderte entfernt zu sein scheint, bewunderte schon der römische Geschichtsschreiber Flavius Josephus (geb. 37 n. Chr.): „Den Genezar entlang erstreckt sich eine gleichnamige Landschaft von wunderbarer natürlicher Schönheit. Der Boden ist so fett, dass jede Pflanze gedeihen kann. Nussbäume, die am meisten der Kühle bedürfen, wachsen dort in großer Menge ebenso wie Palmen, die nur in der Hitze gedeihen.“ Und Flavius Josephus schwärmt davon, dass „Weintrauben und Feigen ohne Unterbrechung zehn Monate lang“ zu ernten seien.
Weiter im Osten des Sees liegt Karfarnaum, aus dem Petrus stammte und wo Jesus einige seiner Jünger rekrutierte. Wenige Kilometer dahinter fließt der Jordan als besseres Rinnsal in den See Gennesaret. Am südwestlichen Seeufer liegen die Ruinen von Magdala, wo Maria Magdalena lebte, der wir die Kunde von der Auferstehung des Herrn überhaupt erst verdanken. Drei Jahre hat Jesus hier am See Gennesaret verbracht, ehe er nach Jerusalem aufbrach, um sein Schicksal zu erfüllen. Um den vielfältigen Spuren des christlichen Religionsgründers an diesem Ort zu folgen, sollte jeder gläubige Katholik oder Protestant ein paar Tage seines weltlichen Daseins opfern, um die Schönheit der Landschaft auszukosten. Und vor allem sollte er es nicht versäumen, sich einer bibelfesten und landeskundlichen Führung anzuvertrauen. Das steigert den Genuss, sogar für selbst ernannte Ungläubige oder eingeschworene Kirchenfeinde.