: „Wer meckert, kann ja gehen“
Gilles Duhem
Auch das gibt es: den Neoliberalismus in der Migrationsarbeit. Gilles Duhem (39) war fünf Jahre lang Quartiersmanager im Rollbergkiez, einem der schwierigsten Problemkieze in Neukölln. Mit den Kiezbewohnern, meist Migranten, pflegt der gebürtige Pariser eine harte Linie. Sein Credo: Wer sich keine Mühe gibt, kann gehen. Und wer ständig motzt, auch. Duhem gilt als Inspirationsquelle von Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), der mit der These des gescheiterten Multikulturalismus vor einem Jahr bundesweit Schlagzeilen machte. Für Duhem selbst ist es mit seiner Arbeit vorbei. Denn die Senatsverwaltung hat ihm seinen Vertrag nicht verlängert. Duhem wettert weiter.
INTERVIEW FELIX LEE UND CLAUDIUS PRÖSSER
taz: Herr Duhem, in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung ist man gar nicht gut auf Sie zu sprechen. Fehlt es Ihnen an sozialer Kompetenz?
Gilles Duhem: Ich komme mit vielen Leuten klar, von dem Regierenden Bürgermeister bis zum ALG-II-Empfänger. Es gibt jedoch eine Gattung von Menschen, die ich partout nicht leiden kann. Das sind Menschen, die einem mit Schikanen immer Steine in den Weg legen. Eine von ihnen sitzt offenbar in der Senatsverwaltung. Mit ihr habe ich mich angelegt. Nun wird mein Vertrag nicht verlängert.
Wenn es bei Ihrer Kündigung bleibt, werden Sie irgendetwas am Rollbergkiez vermissen?
Natürlich. Aber als Vereinsmitglied und Ehrenamtlicher bleibe ich zunächst. Denn wissen Sie, was mich an diesem Kiez so reizt? Das Vertrauen der Leute. Das ist das Schönste an diesem Projekt.
Wenn es stimmt, was man so über das Rollbergviertel hört, lebt es sich hier aber ziemlich gefährlich.
Fünf Jahre lang saßen wir mit unserem Büro im Erdgeschoss wie auf einem Präsentierteller. Meine Kolleginnen und ich haben oft bis spät nachts gearbeitet und sind nie bedroht worden. Klar gab es mal ein paar junge Männer, die dachten, sie könnten hier für Angst und Schrecken sorgen. Aber die haben wir schnell zurechtgestutzt.
Wie meinen Sie das?
Klare Regeln. Wer sich nicht benimmt, wird angezeigt. Wissen Sie, wie viele Platzverweise es derzeit für diesen berüchtigten Kiez gibt? Schätzen Sie mal.
Dann werden es wohl nicht so viele sein. Zwanzig?
Drei. Und das reicht auch. Wichtig ist doch, dass wir dem Rechtsstaat gemeinsam ein Gesicht geben. Wir werden alle aus öffentlichen Geldern finanziert – das Quartiersmanagement, die Schulen, die Polizei, die Wohnungsbaugesellschaft. Gemeinsam müssen wir klarmachen, wie die Spielregeln der Gesellschaft sind. Man benimmt sich.
Klingt gestrig.
Kann schon sein. Aber viele Konflikte entstehen, weil die Leute nicht wissen, wie man sich anderen gegenüber verhält. In großen Häusern hört man nicht laute Punkmusik bis drei Uhr morgens. Man sitzt auch nicht nachts im Innenhof und schreit herum. Und Babywindeln schmeißt man auch nicht aus dem Fenster.
Und wie haben Sie das durchgesetzt?
Durch Information, aber auch Kontrolle.
Sie haben Kiezpolizei gespielt?
Nein, wir haben die Leute direkt angesprochen. Das funktioniert. Es ist zudem ein Verdienst des Projekts, dass die Polizei im Kiez viel präsenter geworden ist. Und zwar nicht nur in Uniform. Sehen Sie sich die Bilder von unseren Festen an – ein paar Kollegen vom Abschnitt waren immer dabei. Die gehören inzwischen zum „Dorf Rollberg“.
Andererseits wurde hier im Kiez 2003 ein Polizist erschossen.
Ja, das sind so die Geschichten, die hängen bleiben. Aber deswegen zieht hier keiner weg. Das Problem sind die Reibereien des Alltags. Man zieht weg, weil die Kinder vom Nachbarn einen im Aufzug blöd anmachen und jeden Tag Müll vor der Haustür liegt. Aber schauen Sie sich im Rollberg um: Wo bitte in Neukölln ist es gepflegter als hier? Ein Ergebnis der Anstrengung aller.
Fühlen sich die Menschen wohl im Quartier? Oder versuchen sie nur, das Beste daraus zu machen?
In den fünf Jahren, die wir hier gearbeitet haben, ist ein Gemeinschaftsgefühl entstanden. Es gibt das Bewohneressen im Gemeinschaftshaus, das Netzwerk Schülerhilfe, wir feiern gemeinsam das Opferfest und Weihnachten. Wir haben versucht, dem Kiez einen Rhythmus zu geben. Die Meckerei hat zwar nicht aufgehört, aber sie ist weniger geworden.
Sie gelten als Adept von Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky, der Multikulti bekanntlich für gescheitert hält.
Ich kann mit diesem Begriff wirklich nichts anfangen. Was wollen denn diese „Multikulturalisten“? Wir machen zusammen ein Fest, haben uns alle lieb, und dann läuft es schon? Das ist mir zu wenig. Vor allem stört mich, dass die tatsächlichen Probleme tabuisiert werden.
Das ist aber eine sehr verengte Sicht. Das Leitbild Multikulti meint doch, dass sich Mehrheits- und Minderheitskultur um gegenseitige Annäherung bemühen.
Bemühen reicht nicht. Es muss eine gegenseitige Anstrengung geben. Und dazu gehört mehr, als mal beim Tee drüber geredet zu haben. Integration ist anstrengend für die Mehrheitsgesellschaft, aber sie bedarf auch der Anstrengung der Migranten. Das wird leider nicht ausreichend vermittelt. Hier im Kiez gibt es Mädchen, denen wird erzählt, dass sie Kopftücher tragen müssen, weil ihnen sonst Schlangen aus den Haaren wachsen. Viele wissen nichts über ihren Körper, über Sexualität. Und sie wissen nichts über die Welt, in der sie leben. Der Horizont ist hier sehr schmal und entspricht einem Radius von vielleicht einem Kilometer. Der Rest wird übers Satellitenfernsehen vermittelt.
Das Fernsehen ist schuld an der gescheiterten Integration?
Nicht nur. Aber es ist ein wesentlicher Faktor. Dazu kommen die hohe Arbeitslosigkeit, die niedrige Qualifizierung, die fehlenden Sprachkenntnisse, die durch den Zuzug der Importbräute noch miserabler werden. Zusammen potenzieren sich diese Probleme und führen dazu, dass man immer wieder Kinder der ersten Generation hat.
Fühlen Sie sich selbst ausreichend integriert?
Die Frage habe ich mir noch nie gestellt. Ich bin so, wie ich bin, und sage, was mir nicht passt. Aber ich habe mir auch immer überlegt, wie ich meinen Beitrag für diese Gesellschaft hier in Deutschland leisten kann.
Es ist doch das gute Recht jedes Migranten, im neuen Land zunächst zu versuchen zurechtzukommen.
Es gibt Unterschiede zur muslimischen Welt. Hier in Europa sind wir Kinder des totalen Individualismus. Das ist nicht nur positiv. Aber hier gilt: Wenn du etwas werden willst, musst du allein den Arsch hochkriegen. Das ist bei vielen Muslimen anders. Dort ist nur die Sippe wichtig. Nicht der Einzelne. Netzbeschmutzer darf es nicht geben.
Wie Sie sich in Berlin integriert haben, lässt sich nicht auf einen muslimischen Migranten übertragen?
Jeder Mensch ist anders. Aber was ich absolut nicht mag, sind Leute, die ständig über die Deutschen schimpfen. Wir leben hier in einer Demokratie. Es gibt kein Ausreiseverbot. Wenn es einem nicht gefällt, dann ist die Tür offen. Viele Migranten müssen auch mal darüber nachdenken, welche Vorteile es hat, hier zu leben. Dazu gehört das Gesundheitssystem, der gepflegte öffentliche Raum, der Rechtsstaat.
Mit solchen Aussagen provoziert auch Herr Buschkowsky gerne. Wem ist denn damit geholfen?
Ganz einfach: Buschkowsky stärkt den Akteuren in den Kiezen den Rücken, indem er Klartext redet.
Das kann man auch anders sehen. Wowereit hat mit seiner Äußerung, kein Kind auf eine Kreuzberger Schule schicken zu wollen, die engagierten Pädagogen diskreditiert.
Finde ich nicht. Wowereit hat nur gesagt, was alle denken. Was er da angedeutet hat, passiert permanent und schon seit den Achtzigerjahren. Die Kinder der Leute, die damals Häuser besetzt haben, gehen heute woanders zur Schule. Ist das etwa politisch korrekt?
Würden Sie denn ein Kind im Rollbergkiez einschulen?
Im Rollbergkiez ja. Wir haben hier eine hervorragende Grundschule, eine Europaschule, in die viel investiert wurde, mit einem hoch motivierten Kollegium und einer tollen Rektorin. Da würde ich meine Kinder sofort hinschicken. Das ist das ganze Geheimnis: In Problemkiezen muss man Topschulen haben.
Was verschlägt eigentlich einen Franzosen ins Rollbergviertel?
Aufgewachsen bin ich in Paris, da habe ich auch Politologie und Volkswirtschaft studiert. Nach Berlin kam ich 1989, um in einem Aufbaustudium Stadtplanung zu studieren. Als durch den Golfkrieg 1990 die französischen Finanzmärkte zusammenbrachen, gab es dort überhaupt keine Arbeit für mich. In Berlin boomte es nach dem Mauerfall jedoch. So bin ich hier hängen geblieben. Ich habe fast acht Jahre lang für eine Treuhand-Nachfolgegesellschaft gearbeitet. Eine harte Schule im Berufsleben. Irgendwann wollte ich etwas anderes machen. Und als mir ein Freund von der Stellenausschreibung hier im Quartiersmanagement erzählte, habe ich mir gesagt: Warum nicht? Ist doch eine spannende Aufgabe.
Einen sozialpädagogischen Hintergrund haben sie also nicht.
Nein, Gott sei Dank.
Gott sei Dank?
Das sind oft Leute, die immer nur diskutieren wollen. Aber was bringt das? Die Menschen hier brauchen keine Betroffenheitsgesichter, sondern Leute, die was tun. Heute liegt Müll vor meiner Haustür, und ich will, dass der verschwindet. Ich terrorisiere alle, bis es klappt. Ich weiß, das ist sehr unberlinerisch. Aber es ist konsequent.
Ist diese Herangehensweise eine Erkenntnis aus Ihrer Arbeit, oder haben Sie das schon immer so gesehen?
Das war bei mir schon immer so. Ich habe mir in meinem Leben viel erkämpfen müssen. Ich habe studiert, aber ich habe dabei auch immer viel gearbeitet.
Kommen Sie selbst aus armen Verhältnissen?
Überhaupt nicht. Meine Eltern hatten immer Geld, aber als ich 13 war, haben sie mir gesagt: Willst du ein Mofa? Dann arbeite dafür. Ich finde das absolut richtig. Wir haben hier Jugendliche, die kommen und sagen: Mann, ich habe keine Lehrstelle gekriegt, weil ich Araber bin. Ich schaue mir die an und sage denen: Nein, du hast sie nicht bekommen, weil du nicht gut genug bist.
Dass es zu wenig Ausbildungsplätze gibt, können Sie nicht bestreiten.
Natürlich. Aber das Leben bedeutet nun mal Konkurrenz. Und wenn es hier nicht genügend Arbeitsplätze gibt, wandert man eben aus.
Wie Sie.
Ja. Wenn Berlin mich nicht mehr trägt, bin ich halt weg.
Das scheint ja nun der Fall zu sein. Denn in einem anderen Bezirk werden sie als Quartiersmanager wohl auch keine Chance haben. Wohin verschlägt es Sie nun?
Vielleicht übersetze ich Bücher oder schreibe selbst eins. Vielleicht finde ich einen anderen Job in einer anderen Stadt in einer ganz anderen Branche. Man darf sich bloß nicht festbeißen. Ich auch nicht.