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Archiv-Artikel

ACHTELFINALE COSTA RICA – GRIECHENLAND IN DER KREUZBERGER WELTLATERNE Sein und Zeitspiel

VON MATTHIAS BOLSINGER

Was ARD-Kommentator Gerd Gottlob da in der siebten Minute im brasilianischen Recife ins Mikrofon salbadert, könnte er so auch aus der Kreuzberger Weltlaterne berichten: „Hier sind nur wenige griechische Fans auszumachen.“ Tatsächlich haben sich in der Weltlaterne nur rund 20 Menschen eingefunden. Der griechische Fanblock besteht aus vier Leuten: Vangelis und Christina hinter dem Tresen sowie dem Küchenduo Evniki und Timo.

Die Mehrzahl der Gäste scheint fürs Essen gekommen zu sein. Das Spiel ist Nebensache. Verständlich: Costa Rica gegen Griechenland – ein Klassiker des Weltfußballs hört sich anders an.

Die Weltlaterne mit ihrem schnuckeligen Interieur aus Schwarz und Bordeauxrot hingegen ist ein ziemlicher Klassiker. Aus den Lautsprechern: Songs, die alle wie das Gedudel aus Michael Cacoyannis’ Klassiker „Alexis Sorbas“ klingen. Auf der Karte: hellenische Evergreens – Gyros, Souvlaki, Moussaka. Ein Sinnbild für das griechische Spiel: solide. Und irgendwie erwartbar.

Das Spiel läuft schon seit Minuten und will doch nicht losgehen. Das gesamte Restaurant liegt im Gyroskoma, der griechische Austeritätsfußball tut sein Übriges. Allein mein Begleiter Alexandros neben mir rutscht von einer Pobacke auf die andere. Er mache sich eigentlich nichts aus Fußball, sagt er – was ihn nicht daran hindert, über das lausige Spiel der Hellenen zu philosophieren.

Aber was bleibt uns auch anderes übrig, als zu philosophieren? Die erste Spielhälfte ist so stinklangweilig, dass man nichts mehr findet, das einen noch zerstreuen kann. In dieser Bräsigkeit stellen sich Existenzfragen ganz von selbst. Was tun wir hier eigentlich? Und was tun die da?

Sein und Zeitspiel. Spielaufbau, Fehlpass, Spielaufbau, Fehlpass. Ewige Wiederkehr des Gleichen. Müssen wir uns Griechen-Coach Fernando Santos als einen glücklichen Menschen vorstellen?

Es will einfach nichts passieren. Gerd Gottlobs Stimme wabert durch den Raum. Apathisch starren die Leute auf die Leinwand, auf der die überschwängliche Farbeinstellung die Beine der Fußballer grün einfärbt.

Da zappelt der Ball im Netz, 1:0 für Costa Rica. Christina schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Vangelis lächelt nur verächtlich. Immerhin: eine Spur von Emotionen. Je länger das Spiel dauert, desto mehr Anspannung liegt in der wohlig warmen Luft der Weltlaterne. Endlich! Der griechische Fanblock starrt auf die Leinwand, der Service erlahmt völlig.

Dann wackeln vor Lärm die Wände, mir läuft Bier über die Jeans, Christina herzt uns: Ausgleich in der Nachspielzeit. Unfassbar, diese Griechen.

Auf einmal ist die Weltlaterne aus ihrer Lethargie erwacht. Vangelis spendiert großzügig kühles Bier und nicht ganz so kühlen Ouzo. Alexandros verkündet euphorisch, er habe es im Gefühl: „Die werden Weltmeister.“

Eine halbe Stunde später steht fest: Sie werden es nicht. Niederlage im Elfmeterschießen. Vangelis schenkt uns kopfschüttelnd den Trostschnaps ein. Alexandros’ Augen starren ins Nichts. Die Stimmung war schon mal besser hier. Als es zwar langweilig, aber noch nichts verloren war.

Heimmannschaft: Griechenland

Gästeblock: Alle anderen – und die, die am liebsten in Ruhe essen würden

Ersatzbank: Kneipen und Spätis rund ums Kottbusser Tor

Rote Karte: Keine. Hier ist jeder willkommen

Kreuzberger Weltlaterne, Kohlfurter Straße 37