: Mindestlohn bekommt Löcher
GESETZESPLÄNE Arbeitgeber bemängeln Lohnfindungsmethode. Experten beraten über Ausnahmen und die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission
AUS BERLIN BARBARA DRIBBUSCH
Wenige Tage vor der Abstimmung des Mindestlohngesetzes stritten Experten in einer Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit am Montag über Ausnahmen. Zu der bisher bekannt gewordenen geplanten Ausnahme für Zeitungszusteller etwa sagte der Kölner Rechtswissenschaftler Ulrich Preis, es sei „nicht auszuschließen, dass diese „ein Produkt eines außerordentlichen Lobbyismus“ sei.
Der Mindestlohn von 8,50 Euro brutto gilt bundesweit ab dem 1. Januar 2015, es sei denn, eine Branche hat einen eigenen Tarifvertrag über einen Mindestlohn, dann kommen die 8,50 Euro brutto erst ab 2017. Die Zeitungsverlage haben einen solchen Branchenmindestlohn nicht und drangen daher auf eine Ausnahmeregelung für Zusteller. Zusteller verdienen meist nach Stücklohn und kommen gebietsweise nur auf 4 oder 5 Euro brutto in der Stunde.
Union und SPD haben sich auf diverse Ausnahmen geeinigt. Für die Zusteller soll nun gelten, dass sie ab dem 1. Januar 2015 immer noch 25 Prozent weniger verdienen dürfen, als der Mindestlohn vorsieht, im Jahre 2016 gilt ein Abschlag von immer noch 15 Prozent. Eine solche Ausnahme sei „verfassungsmäßig sehr, sehr fragwürdig“, sagte Thorsten Schulten, Referent bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung bei der Anhörung.
Weitere Ausnahmen soll es für Erntehelfer geben. Danach können sie statt bisher 50 künftig 70 Tage saisonal ohne Sozialabgaben beschäftigt werden. Außerdem können die Arbeitgeber den Aufwand für Kost und Logis mit dem Mindestlohn verrechnen. Für Praktikanten in einem bis zu dreimonatigen freiwilligen Praktikum soll ebenfalls kein Mindestlohn gelten. Im Gesetz vorgesehen sind schon Ausnahmen für Auszubildende: Für sie ebenso wie für Jugendliche unter 18 kein Mindestlohn. Langzeitarbeitslose können bis zu sechs Monate unterhalb des Mindestlohns beschäftigt werden.
Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, Reinhard Göhner, rügte die Zusammensetzung der Mindestlohnkommission. Sie soll alljährlich über Anhebungen des Mindestlohns entscheiden und sich dabei an den vorangegangenen Tarifsteigerungen orientieren. In der Kommission sitzen paritätisch jeweils drei Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Der Vorsitz soll abwechseln und mal von der einen, mal von der anderen Seite gestellt werden. Wer zuerst Vorsitzender wird, soll laut Gesetz durch „das Los“ bestimmt werden. Da der Vorsitzende die entscheidende Mehrheit entweder für die Arbeitgeber- oder die Arbeitnehmerseite bringt, erfolge die Festlegung des Mindestlohns durch diese Kommission nicht mehr im Konsens beider Seiten, bemängelte Göhner. Tarifverträge hingegen gebe es nur im Konsens.
Zur Anhörung hatten Experten und Lobbyisten auf 200 Seiten ihre Stellungnahmen abgegeben. Vertreter der Psychotherapeutenverbände rügten, dass die Psychotherapeuten in Ausbildung keinen Anspruch auf einen Mindestlohn hätten. Der Bundesverband der Theater und Orchester wies daraufhin, dass die Ausbildung in der Branche aus einem einjährigen Praktikum bestehe – dies ist ohne Mindestlohnbezahlung künftig nicht mehr erlaubt. Das Gesetz zum Mindestlohn soll am Donnerstag im Bundestag verabschiedet werden.
Meinung + Diskussion Seite 10