: „Dreimal 20 Liegestütze!“
Für seine Arbeit mit straffälligen Jugendlichen hat Lothar Kannenberg schon das Bundesverdienst-Kreuz erhalten. Nun zeigt „Das Erziehungscamp“ (21.15 Uhr, RTL II) seine streitbaren Methoden
VON WILFRIED URBE
Eigentlich sehen sie aus wie die netten Jungs von nebenan. Kaum zu glauben, dass sie bereits eine erschreckende kriminelle Karriere absolviert haben: Raub, Körperverletzung, Diebstahl, versuchter Totschlag – bis auf Mord kaum ein Delikt, das von den rund 20 Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren noch nicht begangen worden wäre. Deswegen sind sie auch für ein halbes Jahr im Trainingscamp von Lothar Kannenberg einquartiert. Sozusagen als letzte Chance auf den Ausstieg aus dem Abstieg. Die Produktionsfirma Blue Eyes hat das Geschehen auf einem abgelegenen Hof in Hessen rund zwei Monate begleitet. Das Resultat gibt es jetzt auf RTL II zu sehen: „Das Erziehungscamp – Jugendliche kurz vor Knast“.
Die erste der insgesamt sechs Folgen beginnt mit der Einweisung von Sebastian. Der 15-Jährige ist gewalttätig und aggressiv, besonders unter Drogen und Alkohol. Schafft er es hier nicht, kommt er in eine „geschlossene Unterbringung.“ Die Mutter bringt ihn ins Camp, dort warten schon seine Kollegen. Zur Begrüßung bilden sie einen Kreis um ihn, während ein Betreuer sie anweist: „Dreimal 20 Liegestützen!“ Danach umringen die Zöglinge Sebastian erneut und schreien wie zur Beschwörung mehrmals: „Wir schaffen es!“
Respekt vor sich selbst
Schon mit Formaten wie „Das Experiment – 30 Tage …“ hat RTL II bewiesen, dass man mehr als reißerische Unterhaltung kann. Auch „Das Erziehungscamp“ ist nicht der übliche voyeuristische Kurzausflug, bei dem sich das Publikum zurücklehnen kann, um sich an den Schicksalen von Menschen zu ergötzen, denen es schlechter geht als einem selbst. Das war auch dem Redaktionsleiter von Blue Eyes, Ingo Büsing, wichtig: „Das ist eher eine Dokumentation, keine Dokusoap. Wir haben das Geschehen behutsam begleitet, nichts forciert.“ Acht Wochen lang sei „quasi 18 Stunden am Tag“ gedreht worden: „Wir wussten nie, was als Nächstes passiert.“
Besonders hat er sich über die Entwicklung von Lorenz gefreut, einem Jungen aus Halle, der sein Boxtalent entdeckte und dadurch neues Selbstwertgefühl gewann. Und genau darum geht es dem Initiator Lothar Kannenberg. Der 49-Jährige war in jungen Jahren selbst straffällig und drogensüchtig. Später brachte er es bis zum hessischen Meister im Boxen. Anschließend wurde er Streetworker, gründete vor zwei Jahren das Boxcamp, das vom Land finanziert wird, und wurde 2005 für sein Engagement vom Bundespräsidenten Horst Köhler sogar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Jetzt sollen seine Zöglinge mit Sport und festen Regeln wieder „Respekt“ vor sich selber finden und damit auch vor anderen. Beispielhaft für die angestrebten Tugenden Disziplin, Fairness und Mut steht das Boxen. Die Heranwachsenden werden vom Jugendamt „überwiesen“, sie kommen aus Heimen, Pflegefamilien, von Eltern, die überfordert sind, oder sie haben auf der Straße gelebt. Gelingt es Kannenberg und zwölf weiteren „Respekttrainern“ nicht, die jungen Männer wieder auf Kurs zu bringen, wartet auf die meisten bereits das Gefängnis oder die Unterbringung in geschlossenen Heimen.
Dass Kannenberg seine Arbeit nun im Fernsehen zeigt, hat nichts mit Eitelkeit zu tun: „Ich habe ja auch Kritiker. Das sind Sozialarbeiter, Pädagogen, die sagen: Da kommt einer, der hat nicht studiert und macht mit einem abenteuerlichen Konzept jetzt eine Jugendeinrichtung auf. Jetzt kann sich jeder ansehen, was wir machen und wie wir es machen. Vielleicht ist auch nicht alles richtig, Hauptsache, wir regen eine Diskussion an.“ Die Begleitung über einen größeren Zeitraum erschien ihm dabei als die geeignetste Form. Bevor RTL II mit den Dreharbeiten starten durfte, musste dem hessischen Sozialministerium ein Konzept für eine „Langzeitstudie“ vorgelegt werden. Die wichtigsten Vorgaben: Das Team durfte nichts unternehmen, was die pädagogische Arbeit unterlaufen oder behindern konnte. So gab es auch Sitzungen, bei denen die Filmcrew nicht dabei sein durfte.
„teen torture televison“
Dass RTL II gerade jetzt auf die Idee kommt, den Umgang mit problematischen Jugendlichen als „Socialtainment“ zu thematisieren, liegt für Redaktionsleiter Büsing auf der Hand: „Immer mehr Jugendliche, mittlerweile fast 12 Prozent von ihnen, kommen mit dem Gesetz in Konflikt. Tendenz steigend.“ Mit der aktuellen Unterschichten-Debatte habe das aber alles nichts zu tun. Der Programmdirektor des Münchener Senders, Axel Kühn, verweist darauf, dass Erziehung eines der Topthemen unserer Gesellschaft sei, die neue Serie eine „konsequente Weiterentwicklung“ von Formaten wie „Frauentausch“.
Ursprünglich wollte RTL II eigentlich das Format „Bratcamp“ produzieren: Der große Bruder RTL kam den Münchnern jedoch zuvor und hat soeben in den USA eine eigene Version der Dokusoap, die bereits erfolgreich – aber auch unter großer Kritik – in den USA und England lief, abgedreht. Bei „Bratcamp“ werden aufmüpfige Teenager von ihren Eltern in die Wildnis entsandt. „Slate“, ein Online-Magazin der Washington Post, betitelte es als „totally teen torture televison“. Die Kölner werden „Bratcamp“ wohl im Frühjahr zeigen.
Ob sie damit an die Qualität der RTL-II-Produktion heranreichen, bleibt abzuwarten. Lothar Kannenberg jedenfalls hat seinerzeit ein Angebot von RTL ausgeschlagen: „Die wollten, dass ich mit einigen meiner Jugendlichen in die USA in dieses Camp kommen sollte. Aber das war nichts für mich. Ich mache lieber das, was ich kann.“