: Ein schüchterner Film
Die Konstruktion von „Mein Führer. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ ist derart fantastisch, dass sie sich nur in vollkommener Bedenkenlosigkeit realisieren kann. Doch Dani Levy knüpft ein Sicherheitsnetz, das dann genau nicht trägt
von CRISTINA NORD
Stellen Sie sich vor, das meiste, was Sie bisher über Dani Levys neuen Film gehört haben, entspräche nur halb der Wahrheit. Stellen Sie sich vor, „Mein Führer“ rückte gar nicht Adolf Hitler in den Mittelpunkt, sondern einen jüdischen Professor für Schauspielkunst. Dann wäre „Mein Führer. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ keine Komödie über den Diktator. Als solche scheitert sie ohnehin an ihrem zahnlosen Humor. Stattdessen wäre der Film eine Tragikomödie, und ihr Held wäre Adolf Grünbaum, der Schauspielprofessor. Und dessen Geschichte geht so: Grünbaum (Ulrich Mühe) wird auf Goebbels’ Geheiß aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen geholt, auf dass er Hitler mit den Mitteln moderner Schauspieltechnik für die Neujahrsansprache am 1. Januar 1945 präpariere. Hitler (Helge Schneider) hat das bitter nötig. Als Grünbaum ihm zum ersten Mal begegnet, steht er im hintersten Winkel eines viel zu großen Saales, verloren in der Totalen, und sagt mit erstickter Stimme: „Heilen Sie mich.“
Es braucht nicht viel Scharfsinn, um in Levys Arrangement eine Ermächtigungsfantasie zu vermuten, einen in die Vergangenheit projizierten Wunschtraum, der den tatsächlichen Gang der Geschichte zugunsten einer weniger hässlichen Alternative suspendierte. Denn souverän ist hier das potenzielle Opfer Adolf Grünbaum, während der Mächtige zum krächzenden Häufchen Elend schrumpft. Grünbaum gibt den Ton an, Hitler ergeht sich in Erinnerungen an seine schlimme Kindheit. Hitler mag prahlerisch in die Luft boxen, aber ein einziger Hieb Grünbaums streckt den Diktator zu Boden. Damit verkehrt Levy nicht nur die Rollen, er schafft auch eine aberwitzige Ausgangsbasis für seinen Film – aberwitzig, weil er von etwas komplett Irrealem träumt, nämlich von einem nachträglichen Eingriff in die Zeitläufte. „Mein Führer“ behauptet: Es hätte anders sein können. Es hätte sein können, dass ein KZ-Häftling Zugang zu Hitler erhält. Und weil dieser KZ-Häftling nicht auf den Kopf gefallen wäre, hätte er nach einer Form des Widerstands gesucht, bei dem er das Heilen des Faschisten inszeniert und dabei das Zerstören des Faschisten vollzogen hätte.
Dazu passt der Satz Kurt Tucholskys, der dem Film vorangestellt ist: „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft.“ Küssen, um zu schlagen, die freundliche Geste in einen Hieb verwandeln, sich anschmiegen, um den Faschismus abzustellen. Nicht zufällig nennt sich der Film im Untertitel „Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“. So viel „wirklich“, so viel „wahr“, noch dazu im Superlativ: Das kann nur bedeuten, dass die Behauptung von Wahrheit sich selbst ausstreicht und wir uns in einer Fiktion bewegen. „Meine Geschichte ist so wahr“, sagt Grünbaum zu Beginn von „Mein Führer“, indem er direkt in die Kamera spricht, „dass sie vielleicht nie in ein Geschichtsbuch kommt.“ Weil Grünbaums (beziehungsweise Levys) Geschichte von einem unmöglichen Begehren handelt, findet sie ihren Platz in der Kino-Imagination, nicht in den Texten der Historiker. Und das ist, allen offensichtlichen Schwächen des Filmes zum Trotz, eine ernst zu nehmende Positionierung.
Es ist zudem eine Positionierung, die in der Filmgeschichte Vorbilder hat. Levy bedankt sich im Abspann von „Mein Führer“ bei Roberto Benigni. Wenn Levys Ermächtigungsfantasie darin besteht, Hitler auszuknocken, dann träumt Benignis Tragikomödie „Das Leben ist schön“ (1997) davon, dass sich die schreckliche Realität eines Konzentrationslagers aufheben lasse, sobald der Protagonist so tut, als existiere diese Realität gar nicht. Dank einer übermenschlichen Imaginations- und Verstellungsleistung ist das Lager bei Benigni ein Abenteuerspielplatz. Für den Adressaten dieser Inszenierung – das Kind – geht das gut, für den Regisseur der Inszenierung, den von Benigni gespielten Vater, nicht. Ein Happy End gibt es dennoch, es verleiht dem Film unglücklicherweise eine so süßliche Note, dass man versucht ist, ihn gar nicht erst ernst zu nehmen. Womit man ihm nicht ganz gerecht wird.
Auch der rumänische Filmemacher Radu Mihaileanu hat das Genre der Tragikomödie gewählt, um vom Nationalsozialismus zu erzählen. In „Zug des Lebens“ (1998) beschließen die Bewohner eines Stetls irgendwo in Osteuropa, sich selbst zu deportieren. Die einen verkleiden sich als Nazis, die anderen geben die Häftlinge, man besorgt sich einen Zug, los geht die Reise – immer weiter gen Osten, an allen Konzentrationslagern vorbei, bis auf die andere Seite der Frontlinie.
Dem Aufbruch voraus gehen aufgeregte Debatten darüber, was in den Lagern geschieht. Die Bewohner des Stetls sind sich uneinig. Treffen die Gerüchte, es handele sich um Stätten der Vernichtung, zu, oder sind sie ein Gespinst? Die, die den Gerüchten keinen Glauben schenken, scheinen die Vernunft auf ihrer Seite zu haben. Denn etwas so Monströses wie ein Vernichtungslager kann es gar nicht geben; es liegt zu weit jenseits der Vorstellungskraft, als dass es tatsächlich existieren könnte. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch Benignis Film, seiner Sentimentalität zum Trotz, Relevanz. Indem er noch im Lager dessen grausame Natur leugnet, berührt er eine wesentliche Frage.
Wie irreal wirkte der Holocaust, obwohl er real passierte, obwohl er täglich Tausende von Toten forderte, obwohl er einer groß angelegten Infrastruktur bedurfte? Die US-amerikanische Literaturwissenschaftlerin Shoshana Felman schreibt, zur Conditio sine qua non des Holocaust gehöre, dass seine Opfer das Ausmaß der Verbrechen nicht wahrhaben konnten und dass die Nazis alles taten, damit dies so bliebe. Die europäischen Juden vernahmen Gerüchte, doch überstiegen diese Gerüchte die Vorstellungskraft in einem solchen Maße, dass sie ihnen kein Gehör schenkten und sich deportieren ließen. Das bedeutet: Je unwirklicher der Holocaust erschien, umso wirklicher konnte er werden.
In „Zug des Lebens“ setzen sich die durch, die den Gerüchten glauben. Während sie unterwegs sind, klagen die, die die Häftlinge spielen, dass die Nazi-Darsteller sich selbst wie Nazis verhalten. Die wiederum argumentieren, sie müssten dies der Glaubwürdigkeit halber tun. Hochspannend und zugleich hochkomisch sind die Szenen, in denen die falschen Nazis den echten Nazis begegnen und fürchten, dass ihr Schwindel auffliegt. Aber bis zur allerletzten Minute des Filmes, bis zur entscheidenden Peripetie geht alles gut. Wie in „Mein Führer“ scheitert die Fantasie in „Zug des Lebens“ an den Tatsachen. Alles andere wäre vermessen. Nach 1945 lässt sich kein Film drehen, der ernsthaft als Realität behauptet, wonach der auf die Vergangenheit projizierte Wunsch sich sehnt.
Ernst Lubitsch kannte das Ausmaß der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik nicht, als er 1942 „To be or not to be“ drehte, deswegen kann seine Komödie ein gutes Ende nehmen. Eine Warschauer Schauspielertruppe probt im Sommer 1939 ein Anti-Nazi-Stück. Es wird auf Veranlassung der Regierung hin abgesetzt. Nach Kriegsbeginn gehen die Schauspieler in den Untergrund. Sie werden in einen Spionagefall verwickelt. Die Nazi-Uniformen aus dem Kostümfundus kommen ihnen dabei zugute. Für den angeblichen Widerstandskämpfer Siletzki, der aus London anreist, in Wirklichkeit aber ein Agent der Deutschen ist, inszenieren sie ein Gestapo-Hauptquartier und bringen sich dabei in den Besitz geheimer Dokumente. Am Ende gelingt ihnen kollektiv die Flucht, weil der Darsteller, der Hitler im Anti-Nazi-Stück geben sollte, das Flugzeug des echten Hitler kapert. „To be or not to be“ ist ein Film, der sich dem Traum verschreibt, durch List, durch Verkleidung, durch Verstellung die Verbrechen des Nationalsozialismus aufhalten oder gar unterbinden zu können.
Voraussetzung dafür ist Mimikry. Wo man militärisch unterlegen ist, muss man, um der Nazis Herr zu werden, selbst zum Nazi werden – wenn auch nur temporär und zum Schein. Wie die Stetl-Bewohner in „Zug des Lebens“, die sich in SS-Männer verwandeln, wie Charles Chaplin in „Der große Diktator“ (1940), wie die holländische Jüdin Rachel (Carice van Houten) in Paul Verhoevens „Schwarzbuch“ (2006) – sie alle müssen falsche Nazis werden, um die echten Nazis kaltzustellen.
Adolf Grünbaum widerfährt Ähnliches. Nicht genug damit, dass er den Vornamen mit Hitler teilt. In einer Szene redet der ihn mit „Mein Führer“ an, und als er am Tag der Neujahrsansprache an einem Fenster lehnt und seine Frau ihm von der Straße aus zuruft, stimmt die Masse begeistert ein: „Adolf, Adolf, Adolf!“ jubelt sie Grünbaum zu. Am Ende, als Hitler die entscheidende Rede halten soll, seine Stimme aber nicht mehr als ein heiseres Krächzen ist, spricht Grünbaum an Hitlers Stelle aus einem Versteck heraus. Er küsst den Faschisten nicht nur, wo er ihn trifft. Er spielt den Faschisten auch, wo es ihm hilft.
Mit diesem Programm grenzt sich Levy von den fragwürdigen, aber mittlerweile akzeptierten Versuchen ab, Tätergeschichten mit den Mitteln des Illusionskinos zu erzählen. Genauso wenig wählt er die sichere Bank der Opferperspektive, wie sie zum Beispiel Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“ (2003/ 2004) oder Joseph Vilsmaiers „Der letzte Zug“ (2005/2006) bestimmt. An formaler Radikalität und kühler Täter-Analyse, wie sie etwa Romuald Karmakars Filmessay „Das Himmler-Projekt“ (1999/ 2000) eignet, ist er auch nicht interessiert – dafür gilt sein Blick zu sehr dem großen Publikum. Er beansprucht stattdessen die Position, in Deutschland einen Film zu drehen, der sich dem Wunsch verschreibt, Hitler zu schlagen. Levy verlangt vom Publikum, diesen Wunsch zu teilen, und das ist ein sympathischer Anspruch. Wer sich lieber wohlig schaudernd im Morast des Führerbunkers suhlt, der wird „Mein Führer“ wenig abgewinnen.
Schade nur, dass die Rechnung nicht ganz aufgeht. Denn Levys Ermächtigungsfantasie setzt sich selbst enge Grenzen. Adolf Grünbaum schlägt Hitler zwar k.o., doch viel weiter geht er nicht. „Mein Führer“ verzichtet auf den süßen Augenblick des Triumphes über die Nazis, auf das, was die Gräuel post festum, im flirrenden Irrealis der Fiktion, wenigstens temporär überwände – nicht um die Gräuel zu leugnen, sondern um in der Fiktion den Raum des Widerstands zu öffnen. Levy täuscht diesen Raum an, wagt aber nicht, ihn zu füllen – ganz so, als habe ihn auf halbem Weg der Mut verlassen. „Mein Führer“ ist deshalb ein schüchterner Film. Noch in der Fantasie knüpft er sich ein Sicherheitsnetz.
„Mein Führer. Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“, Regie: Dani Levy. Mit Helge Schneider, Ulrich Mühe u. a., Deutschland 2006, 90 Min.