„Nicht in einen Topf werfen“

VORTRAG Die Journalistin Canan Topcu kritisiert das Bild von durchweg unterdrückten Migrantinnen

■ 48, ist Journalistin und kam als Achtjährige nach Deutschland. Sie war Teilnehmerin der Deutschen Islamkonferenz.

taz: Frau Topcu, Sie wehren sich gegen das Bild, alle Migrantinnen seien unterdrückt. Gibt es da also keine Probleme?

Canan Topcu: Ich wehre mich gegen eine Verallgemeinerung. Auch viele deutsche Frauen leben nicht frei. Aber es gibt die Fokussierung auf Migrantinnen – und damit sind hier eigentlich meist Frauen aus dem türkischen oder arabischen Kulturkreis gemeint. In ihnen sieht man die armen, entrechteten Wesen. Dadurch wehrt man ab, was im eigenen Haus passiert. Die Selbstbestimmung der Frau ist in der Bundesrepublik noch gar nicht so lange her.

Die von den Medien bestimmte Debatte ist durch Zwangsheiraten oder Ehrenmorde von Musliminnen geprägt …

... natürlich berichten wir über die Opfer von Gewalt und Zwangsheirat – es sollte aber eines nicht aus dem Blick geraten: es sind einzelne Ereignisse, die schlimm sind. Aber eben auch nur ein kleiner Anteil der Frauen ist davon betroffen. Durch die Berichterstattung entsteht der Eindruck, alle aus dem türkisch-arabischen bzw. muslimischen Kulturkreis stammenden Frauen litten unter ihren Vätern oder würden zwangsverheiratet.

Sollte darüber nicht mehr berichtet werden?

Berichten schon. Aber es geht darum zu differenzieren und nicht immer von den armen muslimischen Frauen als Opfer zu schreiben. Ich habe so viele aus der Türkei stammende Freundinnen, die hier Ärztinnen und Juristinnen sind – super taffe Frauen, deren Eltern Analphabeten waren und denen die Gesellschaft nicht unbedingt wohlgesonnen war. Migrantinnen haben ganz andere Strukturen der Selbstbehauptung, die gilt es zu fördern.

Frauenhäuser berichten davon, dass überdurchschnittlich viele Migrantinnen bei ihnen unterkommen. Gibt es wirklich keine Unterschiede?

Man muss sich die Familienstrukturen genauer anschauen. Diese Frauen sind nicht dort, weil sie Migrantinnen sind, sondern weil sie dominante und gewalttätige Männer haben. Und die gibt es in jeder Kultur. Mir geht es darum, die Frauen mit Migrationsbiografien nicht in einen Topf zu werfen. In einigen Punkten kann man das aber durchaus machen: Bei Migrantinnen kommt die institutionelle Diskriminierung dazu, etwa wenn ausländische Abschlüsse nicht anerkannt werden. Und bei Musliminnen, wenn sie ein Kopftuch tragen. Es gibt viele Formen miteinander zu leben, manchen gefallen uns nicht, aber solange die Menschen nicht unter Zwang miteinander leben oder gegen Gesetze verstoßen, solange jedem selbst überlassen bleiben, wie er leben will.

Interview: JPB

19 Uhr, ZGF, Knochenhauerstr. 20