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Archiv-Artikel

Den Worten entkommen

Das experimentelle Filmporträt „Brinkmanns Zorn“ des Berliner Filmemachers Harald Bergmann lässt das akustische Vermächtnis des Kölner Beat-Literaten und Sprachkünstlers Rolf Dieter Brinkmann wieder auferstehen

ab Do, 11. 1., 19 Uhr, Metropolis, Dammtorstraße 30a

„Wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre, würde ich sie jetzt über den Haufen schießen.“ Um Worte voller Zorn war Rolf Dieter Brinkmann nie verlegen. Brechstangen waren sie für ihn, mit denen er auf die Realität einschlug, die Hässlichkeit der Welt sezierte und die Enge der „Phantomgegenwart“ ausmaß: so knapp bemessen, „dass man sich immerzu verletzt“. Ungestüme, geballte Wortwut unterwegs zu den Grenzen der Sprache, die den Worten entkommen will und doch immer nur „Wörter, Formulierungen. Aber was ist denn da tatsächlich? Das kann Sprache, Formulierung nicht sagen.“

Seit den frühen 60ern arbeitet der in Vechta geborene studierte Pädagoge als freier Autor und beginnt, am Nouveau Roman orientierte kurzzeilige Prosa zu veröffentlichen. Mitte der 60er dann rezipiert er die US-amerikanische Underground-Lyrik, bringt zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla die wegweisende Beatnik-Anthologie „Acid. Neue amerikanische Szene“ heraus, schreibt mit „Keiner weiß mehr“ seinen einzigen Roman und gilt als literarischer Hoffnungsträger, als Politrebell und erster deutscher Popliterat.

1970 jedoch zieht sich Brinkmann völlig aus dem Literaturbetrieb zurück und beginnt noch einmal neu. Mit ehemaligen Weggefährten zerstritten, von der politischen Bewegung und dem zum Konsum verflachten Pop enttäuscht, sieht er für sein Schreiben künstlerisch wie ökonomisch keine Perspektive mehr. Brinkmann setzt an zu „einer der größten Beschimpfungen der Gegenwart, die je geschrieben wurden“. „Einübung in eine neue Sensibilität“ lautet das Programm, der Sprache zunehmend misstrauisch gegenüberstehend unternimmt Brinkmann von nun an „Feldforschung“, „Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand“. Er sammelt und produziert in den folgenden Jahren Unmengen von Material. 1973 leiht sich Brinkmann beim WDR ein Reportagetonband aus, zieht zwei Monate lang für ein O-Ton-Hörspiel durchs „verrottete Köln“, die verhasste Wahlheimat, und spricht seine unmittelbare sprachliche Erschließung der Welt ins Mikrofon. „Hier ist die Maastrichter Straße. Jetzt pinkle ich an der Maastrichter Straße.“ Akustische Selbstreportage als Befreiung. Zwölf Stunden Tonbandaufnahmen kommen so zusammen. Doch Brinkmann sammelt auch Texte und Collagen, dreht Super-8-Filme und schießt tausende von Instamatic-Fotos.

Zu seinen Arbeiten aus diesen Jahren merkt er an: „… alles Material für einen zweiten neuen Roman, der von 1968-73 in der BRD spielt, durch alle Schreckenskammern und Wuseleien führt und der nur von einer Person handelt, die durch diese Kulisse geht.“ Im April 1975 dann hat Brinkmann auch die Veröffentlichung seines neuen Gedichtbandes „Westwärts 1&2“ vorbereitet, als er sich auf den Weg zum Poetry-Festival nach Cambridge macht. Es soll das erste Buch nach fünf Jahren werden, doch dann ist er im Londoner Linksverkehr eine Sekunde unaufmerksam und kommt unter die Räder eines der von ihm so verhassten Autos. Im Alter von 35 Jahren stirbt Rolf Dieter Brinkmann, wenige Wochen vor der Erscheinung seines wichtigsten Buches.

Den letzten Jahren Brinkmanns hat sich nun der Berliner Filmemacher Harald Bergmann angenommen. Die Originaltonaufnahmen aus den Straßen Kölns und der Wohnung, in der der Sprachkünstler mit seiner Frau Maleen und seinem sprachbehinderten Sohn Robert lebte, Super-8-Filme und Fotos aus Brinkmanns Nachlass dienten ihm als Grundlage für den experimentellen Spielfilm „Brinkmanns Zorn“, der ab heute bis zum 23. Januar im Metropolis zu sehen ist. Die Figur des geplanten zweiten Romans macht Bergmann zur „Figur Brinkmann“ und inszeniert die letzten Jahre des Dichters. Das Besondere dabei: Man hört den Protagonisten mit der Originalstimme sprechen, der Schriftsteller Eckhard Rohde „spielt“ dazu lippensynchron. Dafür hat er sich durch Brinkmanns Sprache hindurchgearbeitet und dessen „extreme Sprachakte“ nachvollzogen, bis er sie genau aktualisieren konnte. Und es ist erstaunlich, wie nah der Film Brinkmanns intensivem Leben und Schreiben auf diese Weise kommen kann.

ROBERT MATTHIES