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Archiv-Artikel

„Das war der Wendepunkt“

Berlins Basketballer nähern sich nach dem 90:83 über Chimki dem Uleb-Cup-Achtelfinale. Das ist ungewöhnlich

BERLIN taz ■ Nach dem Spiel drehen die Berliner Basketballer aus alter Gewohnheit eine Runde. Sie klatschen Hände ab und lassen sich feiern. Das war nach dem 90:83-Sieg in der Gruppenphase des Uleb-Cups gegen Chimki aus dem Großraum Moskau nicht anders. Doch Trainer Henrik Rödl war noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um alle Hände, die sich ihm entgegenstreckten, zu berühren. Ein paar Kinder gingen leer aus, weil Rödl wie in Trance an ihnen vorbeischritt, die Fäuste ballte und dabei eine Furcht einflößende Grimasse schnitt. Rödl freut sich auf diese Weise. Am Dienstagabend hat er sich sogar sehr gefreut. Das ist ein bisschen ungewöhnlich für diesen nüchternen, fast scheuen Coach.

„Das war ein wichtiger Wendepunkt“, schwärmte er im Bauch der Max-Schmeling-Halle. „In den letzten Jahren haben wir im Uleb-Cup immer ein anderes Gefühl gehabt.“ Ein schlechteres, muss man ergänzen – weil Alba in den vergangenen sechs (!) Jahren im Europapokal bereits in der Vorrunde gescheitert war. Jetzt stehen die Chancen ganz gut weiterzukommen. Am letzten Spieltag am 16. Januar muss nur noch Tabellenführer Siena gegen Albas Hauptkonkurrent Oostende gewinnen oder Alba Berlin in Jerusalem obsiegen, dann wäre die von Henrik Rödl beschworene Wende wirklich vollzogen.

Rödl ist klar, dass noch ein bisschen Glück vonnöten ist. Aber nach dem Sieg gegen den offenbar vermögenden russischen Verein, gespickt mit diversen Nationalspielern sowie dem Ex-Berliner Ademola Okulaja (15 Punkte), wollte er den Sieg einfach auskosten. „Wir haben zum Teil fantastisch gespielt, da hat Chimki sicher gestaunt“, sagte er, um dann von „einem absoluten Hammerspiel“ zu sprechen. „Jeder Spieler hat über Normalform gespielt. Eine Mannschaft findet sich nur, wenn sie solche Spiele gewinnt.“

So richtig hat sich Alba Berlin noch nicht gefunden, das fast komplett umgestaltete Team ließ aber in dieser Begegnung erahnen, wozu es fähig ist – zu Spielen auf europäischem Spitzenniveau. „Wir werden dadurch Respekt bekommen in Europa“, hofft Rödl nun.

Der Grat zwischen Respekt und Schelte ist bei den Berlinern allerdings sehr schmal. Wieder ging es in der Schlussphase verdammt knapp zu. Nach Ablauf der regulären Spielzeit hatte es 77:77 gestanden. Chimki schien das Spiel sogar zu gewinnen, doch der argentinische Center Ruben Wolkowysky verwarf Sekunden vor der Sirene einen von zwei Freiwürfen. In der Verlängerung dominierte dann Alba Berlin, spielte seine physischen Vorteile durch Chris Owens und Sharrod Ford aus und konnte trotz einer Bauchmuskelzerrung auf die Wurfkünste von William Avery (20 Punkte) und dessen formidable Dreierquote (fünf Treffer bei 62 Prozent) vertrauen. Wichtig war auch der herausgespielte Vorsprung von über fünf Punkten, weil dadurch Oostende bei Punktegleichstand die schlechteren Karten hat.

Marco Baldi, Vizepräsident und so etwas wie Albas spiritueller Kopf, warnte davor, Berlin bereits in der nächsten Runde zu sehen. Doch auch er war euphorisiert von diesem Spiel und konnte nicht anders, als das Team über den grünen Klee zu loben. Er bewundere den „Arbeitsethos“ der aktuellen Mannschaft, sagte er. „In den letzten Jahren haben wir nicht so ein sensationelles Team gehabt.“ Außerdem sei die Truppe ausgesprochen charakterfest. „Ihr Charakter ist Intensität“, ließ Baldi wissen. „Da schert keiner aus oder pocht auf irgendwelche Privilegien oder ruht sich auf seinem Status aus“, nein, jeder gebe immer 100 Prozent. Manchmal sei sogar zu viel Wille da. „Die sind eben unruhig ohne Ende.“

Gewiss, es sei noch etwas „Feintuning“ nötig, aber das Team sei nun endlich so weit, Albas Ansprüche zu erfüllen. Berlin will ja in die Euroleague, in die kontinentale Topliga der Korbschützen. In diesem Jahr müssen sich die Aufstiegswilligen noch mit Europas zweiter Klasse, dem Uleb-Cup, begnügen. „Wenn man Ansprüche formuliert und scheitert, dann bekommt man Prügel“, weiß Marco Baldi. Alba Berlin hat anscheinend keine Lust mehr, Haue zu beziehen. MARKUS VÖLKER