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Archiv-Artikel

„Europa muss vor Ort sein“

EU Martin Schulz über die verfehlte EU-Politik

Martin Schulz

■ 55, seit 1994 Europaabgeordneter und seit 2004 Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten Europas.

taz: Herr Schulz, die EU fordert jetzt einen „zügigen und geordneten Übergang“ zu einer Regierung, die sich auf die Mehrheit der Bevölkerung stützt. Was kann Europa noch tun?

Martin Schulz: Es muss endlich vor Ort sein. Wir müssen Hilfe anbieten, um einen demokratischen Übergang zu gestalten.

Wie genau kann das gelingen?

Die EU-Außenministerin Catherine Ashton, die Außenminister der EU-Mitgliedsländer und von anderen wichtigen Partnern Ägyptens sollten Gespräche aufnehmen. Sowohl mit der Regierung als auch mit der Armee. Denn die ist in Ägypten ein entscheidender Machtfaktor. Weitere Schlüsselfiguren sind neben al-Baradei auch der ehemalige UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali. Und auch die Muslimbrüder dürfen nicht ausgeschlossen werden.

Warum ist Europa das Problem Mubarak erst jetzt deutlich geworden?

Mubarak war lange ein Schlüssel für den Friedensprozess in Nahost. Und er ist zwar ein Autokrat, aber ein Gegner des islamischen Fundamentalismus. Diese Leute wurden nach dem 11. September gestützt. Man muss ehrlich sein: Europa hat zu lange Leute unterstützt, deren Orientierung man nicht geteilt hat – aber die opportune Partner im Kampf gegen den Terrorismus waren.

Was lernt die EU damit für den Umgang mit Despoten – ähnlich zweifelhafte Verbindungen gibt und gab es ja auch zwischen Libyen und Italien oder Tunesien und Frankreich?

Wir können Despoten nicht per EU-Beschluss abschaffen. Aber der Dialog mit der Opposition in derartigen Regimen ist unsere wichtigste Pflicht, das müssen wir konsequenter tun.

Vor zwei Wochen haben Sie Ben Ali aus der Sozialistischen Internationale ausgeschlossen, wie sieht die Lage bei Mubaraks NDP aus?

Wir haben die NDP in der vergangenen Woche in einem Eilverfahren ausgeschlossen. Die NDP konnte eine Zeit dazu beitragen, den Friedensprozess im Nahen Osten voranzubringen. Als sozialdemokratische Fraktion im Europaparlament haben wir unter meinem Vorsitz seit 2004 keinen Kontakt mehr zur NDP.

Müssen Sie nun einen kritischen Blick in das Register der Mitgliedsparteien der Sozialistischen Internationale werfen?

Die sozialistische Internationale hat zum Teil noch Mitgliedsparteien, die nicht zu uns passen. Wenn bestimmte Grundwerte nicht respektiert werden, haben die Parteien nichts bei uns verloren. Das Ethikkomitee muss nun schnell die gesamte Mitgliedsliste überprüfen. Wir werden weitere kritische Kandidaten finden. Da müssen wir reagieren. INTERVIEW: GORDON REPINSKI