: Brüssel und Berlin sind sich gar nicht grün
In ersten Reaktionen lehnt die Industrie die Abtrennung der Netze der Stromversorger als „systemfremd“ ab. Und auch der Streit über die deutschen Allokationspläne bleibt. Das Angebot des Umweltministeriums ist für die Kommission nur ein „Zeichen des guten Willens“
BERLIN taz ■ „Wir machen nicht für 26 Staaten Politik, sondern für 27 Staaten.“ Mit diesem zarten Hinweis darauf, dass die Kommission auch für Deutschland keine Ausnahmen zulassen wird, machte Heinz Hilbrecht, Direktor für Konventionelle Energien in der EU-Generaldirektion Energie, gestern klar, was auf Eon, EnBW, RWE und Vattenfall zukommt: Nach dem Willen der Kommission verlieren die deutschen Energiekonzerne ihre Strom- und Gasnetze. Wie das gehen soll, wird jetzt anhand von Wirtschaftlichkeitsstudien überprüft. Hilbrecht gestern in Berlin: „Entweder die Konzerne verlieren die Kontrolle über die Netze an einen unabhängigen Operator. Oder sie verlieren das Eigentum an diesen Netzen.“
Hessens Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) findet das ganz prima: „Um den Wettbewerb im Strom- und Gasmarkt in Gang zu bringen, ist eine Erweiterung des Wettbewerbsrechts nötig.“ Allerdings hat Rhiel nicht ganz begriffen, worum es der Kommission geht. Statt Netzen möchte Hessens Heißsporn Kraftwerke verkauft wissen, „um die Zahl der Anbieter und somit die Wettbewerbsintensität zu erhöhen“.
Aber augenscheinlich scheint man in Deutschland derzeit öfter die Signale aus Brüssel misszuverstehen. „Ich habe verwundert registriert, dass die Aussagen der Kommission in Sachen Atomenergie ausgerechnet in Deutschland als Aufforderung zu mehr Atomstrom interpretiert wurden“, erklärte Energiedirektor Heinz Hilbrecht. „Wir haben nicht für mehr Atomkraft plädiert, sondern dargestellt, welche Rolle sie aktuell spielt.“ Jedem Land bleibe selbst überlassen, wie es mit der Atomkraft umgehe. Hilbrecht weiter: „Klar ist nur, dass die Substitution von Atomstrom CO2-frei erfolgen muss.“ Neue Kohlekraftwerke müssten verboten werden.
Was ganz klar an die Adresse von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ging. Der SPD-Politiker bekräftigte gestern zwar artig seine Ankündigung vom Klimagipfel im November: „Wenn die EU um 30 Prozent ihres Ausstoßes reduziert, wird Deutschland 40 Prozent CO2-Kürzung bis 2020 anstreben.“ Andererseits laufen aber gerade etliche Planungen für neue Braunkohlekraftwerke – bei gleichzeitigen Anträgen für Laufzeitverlängerungen deutscher AKWs.
Doch die deutschen Stromkonzerne müssen sich nicht nur auf eine Abtrennung ihrer Netze einstellen. Außerdem kommen auf sie auch höhere Lasten beim Zertifikatehandel zu. „Wir haben den deutschen Verteilungsplan für die Jahre 2008 bis 2012 unter Auflagen genehmigt. Diese Auflagen haben wir anhand von objektiven Kriterien entwickelt“, erklärte in Berlin Jos Delbeke von der Generaldirektion Umwelt. Konkret: Die deutsche Industrie soll in den Jahren 2008 bis 2012 „nur“ 453 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausstoßen dürfen. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich 465 Millionen Tonnen genehmigen lassen wollen – und das, obwohl die Industrie sich schon früher verpflichtet hatte, nur 451 Millionen Tonnen zu verursachen. Kurz vor Jahresende hatte Gabriel Brüssel ein neues Angebot unterbreitet, das der EU-Kommissionsbeamte Delbeke gestern „ein Zeichen des guten Willens, aber bei weitem nicht ausreichend“ nannte. Der für Kanzlerin Angela Merkel peinliche Knatsch geht also weiter.
Jedenfalls hat die Kommission nicht nur die deutsche Politik aufgescheucht, sondern auch die Lobbyisten. „Der Vorschlag der Kommission ist in der Marktwirtschaft absolut systemfremd“, erklärte der Präsident des Verbandes der Gas- und Wasserwirtschaft, Michael Feist. „Die Folgewirkungen einer radikalen Abtrennung der Netze sind völlig unüberschaubar“, dozierte Michael Schöneich, Geschäftsführer des Verbandes der kommunalen Unternehmen. Und BDI-Präsident Jürgen Thumann kam mit dem bekanntesten aller Totschlagargumente: „Wir müssen aufpassen, dass mit dem guten Willen zu mehr Wettbewerb keine neuen bürokratischen Strukturen aufgebaut werden.“
Und auch Vattenfall weiß natürlich alles besser als Brüssel. Kommunikationschef Johannes Altmeppen sagte zu N24: „Die Zerschlagung der vier großen deutschen Unternehmen und 900 anderer ist ein denkbar untaugliches Instrument.“ NICK REIMER
wirtschaft und umwelt SEITE 8