: Die Combo der Unverwechselbaren
Die Bremer „Gummiband“ rockt Säle und Plätze zwischen Kiel und Mallorca. Jetzt ist ihr Frontmann gestorben. Till Aßmann war Rockröhre, Improvisator und ein äußerst charmanter Hemd-vom-Leib-Reißer
Über Till Aßmann gibt es viele Geschichten. Zum Beispiel die, wie er im vorweihnachtlichen Einkaufsrummel in der Innenstadt verschwand und erst Stunden später in einem Schaufenster wieder auftauchte: Dort stand ein Klavier und Aßmann, unwiderstehlich angezogen, spielte und sang. Oder wie er mit seiner Musik eine evangelische Synode sprengte, auf der er und die „Gummiband“ als „Vorzeige-Behinderte“ die Pause füllen sollten. Die Band ist die Hauscombo des Bremer Kunst&Psychiatrie-Projekts „Blaumeier“, Till Aßmann ihr – vorgestern verstorbener – Frontmann.
„Flexible Musik mit ordentlich Watt“ nennen die acht Gummiband-Musiker ihren Style, eine Mischung aus eigenwillig interpretierten Schlagern, Rap und allerlei Unbenennbarem. „Betreuer-Rock“, bei dem sich die „Behinderten“ aufs Tambourin beschränken, ist das Ganze jedenfalls nicht. Olli Flügger am Schlagzeug ist ein wahres Bewegungswunder, Gitarristin Petra Husheer macht Moderationen, denen sich niemand entziehen kann und Sandra Tlaczik in Pantherlook und blonder Perücke ist eine ansteckende Performerin. Und die nur im allgemein üblichen Rahmen behinderten Bandmitglieder? Die erkennt man – so der bandintern übliche Schnack – an den Notenblättern vor den Nasen.
Seit der Gründung vor zehn Jahren haben Assmann und die Gummiband manchen Saal zwischen Kiel und Palma de Mallorca gerockt. Im dortigen Auditorio trafen sich Gruppen aus der Anti-Anstaltsbewegung, in der auch „Blaumeier“ seine Wurzeln hat. Das Atelier entstand mit der Auflösung des geschlossenen Krankenhauses „Kloster Blankenburg“. Seither gibt es ein regelmäßiges Werkstattangebot, viel beachtete Ausstellungen und theatrale Großproduktionen bis hin zu einer kompletten „Carmen“-Inszenierung.
Im Atelier galt Aßmann als Mr. „I feel good“. Auch, weil dieser Hit von James Brown sein Lieblingslied war. Aßmanns nächtlicher Tod an akutem Herzversagen kam für alle überraschend. „Vielleicht wollte er die Gelegenheit nutzen, um jetzt James Brown zu treffen, der gerade eine Woche vor ihm gestorben ist“, sagt eine traurige Mitarbeiterin.
Aßmann hatte einen ausgesprochen großen musikalischen Magen, in den jede Menge Schlager, Beethoven und die Beatles passten – sein Zimmer in der WG der „Lebenshilfe“ war ein Platten- und CD-Tohuwabohu. Allerdings nur in den Augen der Betreuer – denn egal, was in welchem Cover steckte: Aßmann fand auf Anhieb jedes Musikstück. Auch aus seinem inneren Archiv konnte der 39-Jährige ein riesiges Repertoire herbeizaubern. Er sang in allen Sprachen, war ein begnadeter Schalk und Imitator, legendär auch die Improvisationen mit der Handtrichtertrompete. Wenn er mal nicht Rockröhre sein wollte, trat er mit seinem zweiköpfigen Terzett an distinguierteren Orten wie dem Dangaster Kurhaus auf.
Was macht die Gummiband nun ohne ihren Frontmann? Die Frage wird später beantwortet. Auffällig ist jedoch, dass sie auch für Jüngere attraktiv ist. „Das ist ein Bruch mit meiner eigenen musikalischen Vergangenheit“, betont Neuzugang Mariusz, der seinen Bass früher in polnischen Heavy-Metal-Bands spielte. Diesen Bruch in Gestalt der Gummiband nennt er ungemein erfrischend. Henning Bleyl
Die CD „Blau drauf“ kann über info@blaumeier.de bestellt werden