: Arbeitsplatz: Baumkrone
KLETTERKURSE 2.500 ausgebildete Baumkletterer gibt es in Deutschland. Sie bereiten sich auch in Weiterbildungskursen in Hamburg, Lübeck, Bremen oder Hannover auf ihre Arbeit in den luftigen Höhen der Natur vor
Jürgen Unger, Baumkletterer
VON JOACHIM GÖRES
Gurt, Seil, Helm: So ausgerüstet klettert Jürgen Unger an seinem Seil steile 20 Meter hoch in eine massive Eiche im Celler Schlosspark, um zu überprüfen, ob alles vorbereitet ist. Dort liefen kürzlich die Deutschen Baumklettermeisterschaften und Unger, selbst erfahrener Baumkletterer, war Schiedsrichter für einen der fünf Wettbewerbe.
An der von ihm präparierten Station mussten die 65 TeilnehmerInnen beweisen, dass sie einen fiktiven Verletzten schnell und sicher aus großer Höhe auf den Boden bringen können. „Ich habe selber noch keinen Unfall im Baum erlebt, aber man muss auf so eine Situation vorbereitet sein. Deswegen müssen immer zwei Baumkletterer im Einsatz sein. Einer muss im Notfall den anderen retten können“, sagt Unger. Bei den 2.500 bei der Berufsgenossenschaft gemeldeten Baumkletterern in Deutschland kam es 2012 zu 59 Unfällen.
Unger ist Gründer der Firma „Eichhorn Baumpflege“, die zwei Mitarbeiter beschäftigt und im Umkreis von 100 Kilometern rund um Osnabrück tätig ist. Als Gutachter erkundet Unger den Zustand der Bäume, mit der Säge in der Hand entfernt er totes Holz aus den Kronen, ab und zu wird er als Baumfäller aktiv. „In Städten gibt es mehr Verständnis und Interesse am Erhalt der Bäume, auf dem Dorf sieht man den Baum eher als Störenfried“, so Ungers Erfahrung aus 18 Jahren Berufserfahrung.
Unger arbeitet immer gesichert an einem Seil – der studierte Landschaftsarchitekt bewegt sich in luftigen Höhen von rund 25 Metern. „Es gibt auch Hebebühnen, aber mit denen kommt man nicht an jeden Baum ran. Hebebühnen belasten zudem die Wurzel“, sagt der 45-Jährige, der wie die meisten seiner Kollegen schon als Kind gern in Bäume geklettert ist.
Unger bildet selbst Interessierte an der Münchner Baumkletterschule aus, die Kurse unter anderem in Hamburg, Lübeck, Bremen und Hannover anbietet. Eine eigenständige Berufsausbildung gibt es in Deutschland nicht – viele Baumkletterer sind gelernte Gärtner oder Forstwirte, aber es gibt auch Quereinsteiger wie Physiker, Soldaten oder Lehrer. Zur vorgeschriebenen Weiterbildung gehört ein 40-stündiger Grundkurs im Baumklettern, zudem müssen 300 Stunden Klettererfahrung nachgewiesen werden. Wer im Baum mit der Motorsäge arbeiten will, muss sich weitere 40 Stunden fortbilden.
„In unseren Kursen hatten wir bislang rund 1.800 Teilnehmer, davon 50 Frauen. Viele weibliche Kletterer haben Angst, dass ihnen die nötige Kraft fehlt, aber das war bislang nie ein Problem. Im Gegenteil, Frauen haben im Schnitt ein etwas besseres Gleichgewichtsgefühl und einen besseren Überblick“, sagt Thomas Böhl. Er ist Leiter der Seilkletterschule der Niedersächsischen Landesforsten in Munster-Oerrel, die auch Feuerwehrleute und Polizisten ausbildet.
Im einwöchigen Grundkurs A, der ausreicht, um anschließend gewerblich als Baumpfleger zu klettern, nehmen in Oerrel maximal ein Dutzend Personen teil. Nicht alle bestehen die Prüfung. „Wir haben oft Topkletterer, die aber die Baumarten nicht erkennen. Das ist aber überlebenswichtig, denn die Bruchfestigkeit ist von Holzart zu Holzart ganz unterschiedlich“, sagt Böhl.
Verschiedene Kletterkurse hat auch der ausgebildete Landschaftsgärtner Karsten Weller besucht, der in Göttingen Arboristik studiert hat. „Das Klettern lernt man nicht im Studium. Ich hatte schon zuvor Erfahrung beim Felsklettern, das hilft einem, sich an die Höhe zu gewöhnen. Entscheidend ist, dass man die Seilklettertechnik für das Besteigen der Bäume lernt und beherrscht. Man sollte nicht ganz unsportlich sein“, sagt der 31-Jährige, der in der Unistadt in einem Drei-Mann-Betrieb als angestellter Baumpfleger arbeitet. Seine Auftraggeber sind oft Kommunen – jeder im öffentlichen Raum stehende Baum muss einmal im Jahr auf seinen Zustand überprüft und manchmal beschnitten werden.
Auch Privatpersonen nehmen Wellers Dienste in Anspruch. Die wollen nicht selten einen großen gesunden Baum in ihrem Garten fällen lassen, weil er zu viel Schatten wirft und das Laubharken lästig ist. „Ich verstehe mich als Anwalt des Baumes und zeige Alternativen wie das Kürzen auf. Mitunter lehnen wir solche Fällaufträge auch ab. In Städten mit Baumschutzsatzung wie Hannover und Göttingen braucht man für das Fällen eine Genehmigung, und die gibt es nicht, wenn der Baum gesund ist.“
Den ganzen Tag bei Wind und Wetter in Bäumen klettern und mit der Motorsäge arbeiten, das ist anstrengend und verlangt körperliche Fitness. Weller: „Ich bin abends geschafft, aber das ist ein schönes Gefühl. Bäume faszinieren mich, je älter sie sind, umso größer ist die Ehrfurcht.“ Auch für Gregor Hansch, der sich in der Schweiz innerhalb von drei Jahren zum Baumspezialisten hat ausbilden lassen und von Berlin aus bundesweit wie viele seiner Kollegen als Ein-Mann-Betrieb tätig ist, ist es der ideale Beruf: „Die Höhe macht süchtig, das gibt immer wieder einen Adrenalinausstoß. Ich bin ein Technikfreak und beschäftige mich intensiv mit der Seilklettertechnik. Wir Baumkletterer sind wie eine große Familie, es gibt enge Kontakte weltweit.“
Nicht zuletzt wegen dieser Begeisterung schaut Hansch mit Sorgen in die Zukunft – gerade Stadtbäume müssten durch die Luftverschmutzung, den Einsatz von Streusalz und die zunehmend trockeneren Sommer immer mehr aushalten. Hinzu kommen vermehrt Krankheiten. „Ganz neu ist das Eschentriebsterben durch die Ausbreitung von Pilzen. Die Kastanienminiermotte führt dazu, dass die Bäume nicht mehr so schnell wachsen und die Äste brüchiger werden“, sagt der 31-Jährige. Wie sieht er seine eigene berufliche Zukunft? „Das Baumklettern ist schon eine starke körperliche Anstrengung, die die Gelenke beansprucht. Ein Tennisarm kommt nicht selten vor. Es gibt Baumkletterer, die seit über 30 Jahren aktiv sind, aber man kann als älterer Baumpfleger auch aufs Klettern verzichten und sich mehr auf Gutachten und die Planung konzentrieren.“