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hamburger szeneVerrückte unter sich

Der Mann, der an der Station Baumwall in die U 3 einstieg, trug einen langen, schicken Trenchcoat, unter seinem Arm klemmte eine abgeschabte Aktentasche. Er hätte ein Geschäftsmann sein können, wäre da nicht das wirre Haupthaar gewesen und der sehr lange, zauselige Bart. Der Bart fiel über den Trenchcoat und verdeckte einen roten Aufnäher, auf dem Worte standen, die wohl eine Botschaft ergeben sollten.

Ich musste mich weit vorbeugen, um diese Worte zu lesen, die ja durch den Bart verdeckt waren. Es gelang mir nicht, aber der Mann bemerkte meine Bemühungen, nickte mir zu und zog einen Zettel aus seiner Tasche, auf dem wohl dieselbe Botschaft stand. „Jude ist durch Völkermord an die Macht, nicht durch Wissen“, hieß es da, und: „Hermann Göring, Göbels, alle Juden“. Bevor der Mann ein paar Stationen später ausstieg, kam er nochmal direkt auf mich zu und raunte mir ins Ohr: „Denen wird das Lachen schon noch vergehen.“ Meinte er die Juden? Oder die toten Nazis Göring und Göbbels?

Wie auch immer, seine Botschaft ergab offenbar keinen Sinn. Trotzdem steckte ich den Zettel ein. Dann blickte ich mich in der U-Bahn um. Die Fahrgäste sahen mich an. „Ein Verrückter“, sagte ich in den Raum. Die anderen Fahrgäste schwiegen, in ihren Augen blitzte kein Verständnis auf. Ich war jetzt der Mann, der den Zettel genommen hatte. Ich gehörte jetzt auch zu den Verrückten. An der nächsten Station stieg ich aus. Den Zettel ließ ich zurück. DANIEL WIESE

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