Der mysteriöse Unfall des Herrn A.

In Ostfriesland überschlagen sich die Gerüchte, seit ein Polizeidirektor mit seinem Dienstwagen verunglückte. Die Polizei rückte erst spät mit der Darstellung heraus, es habe sich um einen Selbstmordversuch gehandelt

Über dieser Geschichte liegt Nebel, meterdicker Nebel. Wirklich lichten lässt er sich wohl nicht, was vielleicht damit zusammenhängt, dass die Geschichte in Ostfriesland spielt, an der Nordseeküste im Landkreis Wittmund. Nicht einmal 100 Menschen kommen dort auf einen Quadratkilometer. Man kennt sich gut im Landkreis Wittmund, Gerüchte machen dort schnell die Runde.

Kurz vor Weihnachten war der Leiter der Polizeiinspektion Wilhelmshaven, Polizeidirektor A., mit seinem Dienstwagen verunglückt. Der Dienstwagen hatte Totalschaden, der Polizeidirektor war zum Glück nur leicht verletzt. Der Unfall sei in Ausübung seines Dienstes geschehen, teilte die Polizei zunächst mit. A. habe einen Verkehrsrowdy verfolgt und dabei die Kontrolle über sein Auto verloren.

Am vergangenen Mittwoch stand in der Bild-Zeitung eine andere Version der Geschichte: Der Polizeidirektor sei betrunken gewesen, anschließend habe er versucht, sich zusammen mit seiner Frau in seiner Garage umzubringen. Das sei wegen des modernen Katalysators misslungen. Das Ehepaar befände sich nun in der Psychiatrie.

Am selben Tag noch schickt das Polizeipräsidium Oldenburg eine Pressemitteilung heraus, die dem Bild-Zeitungsbericht widerspricht. Es gebe keine Anhaltspunkte für Trunkenheit. Im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass Polizeidirektor A. sich schon bei seinem Autounfall das Leben nehmen wollte, so sein Vorgesetzter, Polizeipräsident Jürgen Thurau. Die Geschichte mit dem Verkehrsrowdy habe er erfunden. Den Selbstmordversuch in der Garage bestätigt der Polizeipräsident.

Doch was ist wirklich passiert? Und warum? In der taz-Redaktion ruft ein Informant aus Ostfriesland an. Er habe viel zu erzählen, aber nicht am Telefon, sagt er. Das Treffen findet in einem Café statt, wir sind die einzigen Gäste. Während im Hintergrund die Espressomaschine zischt, erzählt der Mann Dinge aus dem Landkreis Wittmund, die unglaublich klingen. Es geht um Kritiker, die mundtot gemacht werden, um vergiftete Kühe, vor allem aber um eine Clique aus Kommunalpolitikern, die sich bestens mit den Luftwaffen-Offizieren des im Landkreis stationierten „Richthofen-Geschwaders“ versteht.

Polizeidirektor A. habe sich mit diesen Leuten angelegt, sagt der Informant. Klar scheint zu sein, das sich A. bei seiner Karriereplanung verzockt hatte. Er hatte sich von seinem vorigen Posten in Wittmund nach Wilhelmshaven versetzen lassen, weil er sich dort bessere Aufstiegschancen ausrechnete. Doch dann kam ihm die niedersächsische Polizeireform in die Quere, die den Standort Wittmund aufwertete. Wilhelmshaven wurde zur Sackgasse.

Polizeidirektor A. habe allein auf weiter Flur gegen die Polizeireform gekämpft, sagt Manfred Hoffmann, Lokalredakteur beim Anzeiger für das Harlinger Land. Die Lokalzeitung ist sauer auf die Polizei, weil die so lange mit ihren Informationen hinter dem Berg hielt. Die Frage, ob Polizeidirektor A. betrunken gewesen sei, sei wichtig für seine Pension, sagt Hoffmann. Trunkenheit habe dienstrechtliche Konsequenzen, ein Selbstmordversuch nicht.

Das klingt so, als ob der Polizeidirektor von seinen Kollegen gedeckt worden sei. Doch was unser Informant erzählt, klingt nach mehr. Es sei doch höchst seltsam, sagt er bei dem Treffen im Café, dass der Polizeidirektor sich in seiner Garage habe umbringen wollen, obwohl er doch habe wissen müssen, dass das mit einem modernen Katalysator nicht gehe. War es am Ende gar kein Selbstmordversuch? Und wer hatte dann die Hände im Spiel?

Das ist der Punkt in der Geschichte, von dem an sich wieder dicker, ostfriesischer Nebel ausbreitet. Polizeidirektor A. wird so schnell nicht aussagen. Das Polizeipräsidium hat bestätigt, dass sich das Ehepaar in ärztlicher Behandlung befindet.

Doch selbst wenn sich der Polizeidirektor Feinde gemacht haben sollte, wie hätten sie seinen Selbstmordversuch in der Garage fingieren sollen? Das sei eben die nächste Ungereimtheit, sagt unser Mann aus Ostfriesland bei dem Treffen im Café. Er blinzelt nervös und sieht sich mit zusammengekniffenen Augen um. Denn als die Rettungssanitäter bei der Garage eintrafen, vom Polizeidirektor selbst gerufen, sei der ganz munter durch das Garagentor spaziert. Seine Frau dagegen habe bewusstlos am Boden gelegen.

Nach einem Selbstmord sehe das nun nicht gerade aus. Nach was dann, kann er allerdings auch nicht sagen. Wahrscheinlich wird es dabei bleiben, dass es mehrere Möglichkeiten gibt, diese Geschichte zu erzählen. Vielleicht wird sie ja mal als „Tatort“ verfilmt. DANIEL WIESE