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Archiv-Artikel

Ratlos im Propagandawust

DOKUMENTATION Lässt sich Geschichte durch unkommentierte Propagandabilder erfassen oder braucht es Vermittlung? Darüber stritt der Kulturwissenschaftler Kittler mit dem rumänischen Regisseur Ujica

Ob in Farbe oder Schwarz-Weiß gedreht wurde, hing von den Deviseneinnahmen ab

VON CHRISTIAN SEMLER

Sie trafen nicht das erste Mal aufeinander und sie waren sich nur einig im Dissens. Friedrich Kittler, Avantgardist in der Analyse der Kulturtechniken, und Andrei Ujica, rumänischer Filmemacher und Dokumentarist, waren am Sonntag im Renaissance-Theater zu Gast bei der Gesprächsreihe „Berliner Lektionen“. Thema war Andrei Ujicas dreistündiger Film „Autobiografie des Nicolae Ceausescu“, der letztes Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes gezeigt wurde.

Ujica hat seinen Film ausschließlich aus Propagandamaterialien zusammengeschnitten, die der Glorifizierung des „Großen Führers“ gewidmet waren, wobei er auf jeglichen Kommentar verzichtete. Bei dem Material handle es sich größtenteils um Wochenschau-Aufnahmen, wobei auch nicht verwendete Schnipsel einmontiert waren, quasi als Verfremdungseffekt. Nur vier bis fünf Kameraleute hatten die „höchste protokollarische Lizenz“ zum Filmen. Ob in Farbe oder Schwarz-Weiß gedreht wurde, hing vom Stand der Deviseneinnahmen ab. Ästhetisch zeigte sich in den 60er Jahren noch der Einfluss der sowjetischen Dokumentaristen. Dann aber schrumpfte die Berichterstattung zum immergleichen, öden Ritual.

Das Berliner Publikum musste bis zur Diskussion aber nicht drei Filmstunden ausharren. Erfreulicherweise bekam es nur zwei Kostproben zu sehen: das Ende des Diktators nach einer Prozess-Farce samt anschließender Hinrichtung des Ehepaars Ceausescu sowie den Beginn seiner Karriere anlässlich der Trauerfeier für Ceausescus Vorgänger Georghiu-Dej.

Friedrich Kittler begann seine Kritik mit der Feststellung, als ehemaliger Einwohner der DDR habe er es satt, mit diesen Propagandamaterialien vollgemüllt zu werden. Der Zuschauer bleibe nicht nur ermüdet, sondern vor allem ratlos zurück. Wie soll er sich zusammenreimen, auf welche politischen Ereignisse die Propagandamaschine reagierte? Wie kann er erschließen, welche Bedeutung der Protest Ceausescus gegen den Überfall der Warschauer Paktstaaten auf die Tschechoslowakei im August 1968 für die zeitweilige Legitimation des Regime hatte? Wie kann er die Dramatik des Treffens nachfühlen, das zwischen dem tschechoslowakischen Parteisekretär Dubcek und Ceausescu wenige Tage vor dem sowjetischen Einmarsch am 21. August stattfand? Die Dokumentation Ujicas sei nichts anderes als eine gedankenlose Abfolge von Bildern.

Ahnungsloses Publikum

Ujica replizierte, die historischen Ereignisse während der Regierungszeit Ceausescus seien so bekannt, dass sie beim Publikum vorausgesetzt werden könnten. Selbst dort, wo das nicht der Fall sei, beispielsweise beim historisch ahnungslosen Publikum in den USA, hätten die Zuschauer aus dem Propagandamaterial die Entwicklung des historischen Dramas erschlossen. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des Filmemachers, sein Werk vom Bildungsgrad des Publikums abhängig zu machen.

Auf die Frage Kittlers, welche Aussage er denn mit seiner Dokumentation treffen wolle, antwortete Ujica, ihm sei es um die Entwicklung des Diktators selbst und um die seines Publikums gegangen. Der Zuschauer müsse sich anhand des offiziellen Materials subversive Fragen stellen. Denn aus der Dokumentation ließe sich die zunehmende Versteinerung des Diktators und die Gefangenschaft in der einmal übernommenen kommunistischen Doktrin erschließen. Und der Opportunismus seiner Gefolgschaft. Seine Dokumentation enthalte Wirklichkeitsfragmente. Sie zu erkennen sei Aufgabe des Publikums.

Lernen von Tolstoi

Die Historiografie, so Ujica, sei auf Augenzeugenberichte angewiesen, Fotografien seien notwendigerweise statisch. Nur der Film liefere Bewegung und Entwicklung. Er glaube, so Ujica, nicht an den Essay-Film samt seinen didaktischen Ansprüchen. Im ästhetischen Bereich erschließe sich stärker die historische Wirklichkeit als in Geschichtsbüchern oder historischen Dokumentationen. Dies habe ihn die Lektüre von Tolstois „Krieg und Frieden“ gelehrt. Im Übrigen seien alle bedeutenden Historiker Propagandisten eines Regimes oder einer Ideologie gewesen.

Kittler, Liebhaber der Antike, wandte ein: Sind tatsächlich die großen Historiker der griechischen Geschichte, sind Herodot und Thukydides tatsächlich nichts weiter als Propagandisten der griechischen Sache? Geschichte, so Kittler weiter, wird datiert, sie geht nicht in unkommentierten, ihres historischen Zusammenhangs entkleideten Bildern auf. „Wir wollen wissen wann, wo, wie und wollen nicht mit einem Wust von Wochenschauen alleingelassen werden.“ Kittler nahm geschickt die Anekdoten und absurden Geschichten auf, die Ulica während der Diskussion zum Besten gab. Beispielsweise, dass die Hinrichtung des Ehepaars Ceausescu mit den beiden Leichnamen wiederholt werden musste, weil der Kameramann bei der Erschießung nicht präsent war. „Das alles weißt du“, so Kittler, „aber was hast du uns davon mitgeteilt?“