: Füße im Sand, Dollars im Beutel
SCHWARZHANDEL An Rios Touristen-Hot-Spots floriert das Geschäft mit WM-Tickets. Inzwischen hat die Polizei etliche Schwarzmarkt-Ringe in Brasilien auffliegen lassen – viele Billetts stammen aus den Fußballverbänden
AUS RIO DE JANEIRO MARTIN KAUL
Vor der Strandbude 147, gleich vor dem riesigen Hotelgebäude des Othon Palace, das wie ein Betonkoloss die Promenade an der Copacabana überragt, fragt Marcio heute die Strandgäste ab, die auf seinen rostigen Klappstühlen in der Sonne liegen. Normalerweise verdient der Mann ein paar dutzend Reais am Tag an Mietliegestühlen und Kokosnüssen.
Jetzt hofft er, eine kleine Vermittlungsprovision kassieren zu können: Ein Argentinier ist bereit, 700 Euro für ein WM-Ticket zu zahlen. Für Marcio ist das eine gigantische Summe. Wenn er jemanden findet, der seine Karte abgibt, erhält er wenigstens eine kleine Provision.
Rund um die Stadien in den WM-Metropolen São Paulo, Porto Alegre, Salvador oder Fortaleza blüht der Handel mit Schwarzmarkttickets: Gerade jetzt, vor den Finalspielen, wandern Tausende Karten von einstigen Käufern zu Fans, deren Mannschaften sich für die Spiele qualifiziert haben. Händlerringe sitzen auf Tausenden Karten – und versprechen sich das Geschäft des Jahres. Vielleicht droht ihnen aber auch: die Verhaftungswelle des Jahres. Seit Tagen präsentieren Polizeieinheiten in ganz Brasilien stolz die Gesichter von Kartenhändlern, die sie bei ihrem illegalen Geschäft erwischt haben.
Die Kriminalpolizei in Rio de Janeiro will nun sogar Ex-Nationalspieler wie Dunga und Júnior Baiano verhören, um das Treiben einer Dealerkette zu beleuchten, die seit der Weltmeisterschaft 2002 in großem Stil Tickets auf dem Schwarzmarkt vertrieben haben soll. Die Ex-Profis sollen als Zeugen aussagen – vielleicht gibt es zwischen ihnen und einem bestimmten Händlerring eine Verbindung, wie Folha de São Paulo berichtete.
Elf mutmaßliche Tickethändler waren dort festgenommen worden. Sie sollen mit ihrem System pro Spiel bis zu 1 Million Reais umgesetzt haben, rund 330.000 Euro. Der mutmaßliche Kopf der Gruppe, ein 57-jähriger Algerier, verfügt offenbar über gute Kontakte zum brasilianischen Fußballverband und zur Fifa und über freien Eintritt zu Fifa-Events. Erst vor zwei Wochen soll er eine Bar gemietet haben, um eine große Party mit zahlreichen brasilianischen Ex-Nationalspielern zu veranstalten – unter ihnen auch der einstige brasilianische Nationalspieler und spätere Nationaltrainer Dunga.
Der Ex-Nationalspieler Júnior Baiano soll dem Mann zuletzt gar sein Apartment in Rios Nobelvorort Barra da Tijuca bezahlt haben. Dem Algerier und seinen zehn brasilianischen Kollegen wird nun die Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Geldwäsche vorgeworfen.
Die Polizeioperation lief unter dem Namen „Jules Rimet“. Rimet gilt als einer der Mitbegründer der Fußballweltmeisterschaften und war von 1921 bis 1954 Präsident des Weltfußballverbands Fifa. Doch die Fifa und ihre Verbände dürften angesichts des brasilianischen Aufklärungswillens nun selbst in die Schusslinie geraten, ebenso wie der brasilianische Fußballverband.
Dieser steht in Erklärungsnot, weil ein mutmaßliches Mitglied des Rings beim Spiel Brasilien gegen Chile an der Seite des Vaters des brasilianischen Stürmerstars Neymar gesichtet wurde – auf den teuersten Plätzen des Stadions. Neymars Sprecher behauptet dagegen, der Vater des jungen Wunderstürmers kenne den Mann nicht. Der brasilianische Fußballverband, aus dem Korruptionsgrößen wie der langjährige Fifa-Chef João Havelange hervorgegangen sind, will den Fall derzeit noch nicht kommentieren.
Die Fifa, ebenfalls bekannt für blühende Korruptionsgeschäfte, begrüßte offiziell den Schlag gegen die Tickethändler. Aber auch ihr dürfte bange sein angesichts der Tatsache, dass die brasilianische Polizei seit Tagen stolz neue Händlerringe präsentiert. Erst Montag hatten die Behörden in Rio de Janeiro eine dreiköpfige Truppe festgenommen, die in unmittelbarer Nähe zum Fifa-Fan-Fest an der Copacabana eine ganze Hoteletage im Copacabana Merlin für einen Monat gemietet haben soll, um ihr stolzes Kartenaufgebot inmitten der Touristenströme unters Volk zu bringen.
Die zwei Amerikaner und die Italienerin dürften sich gewundert haben, als sie am Dienstag ihre etwas mürbe schauenden Gesichter halbseitig in der brasilianischen Tageszeitung O Globo wiedergefunden haben. Die Zeitung veröffentlichte auch die Klarnamen der Verdächtigen – ein Brauch, der in der brasilianischen Medienlandschaft üblich ist, wo mit der Unschuldsvermutung etwas anders umgegangen wird als etwa in Deutschland.
Als sie festgenommen wurden, verfügten die drei noch über 200 Tickets, von denen sie einige zu Preisen von bis zu knapp 1.000 Euro verkauft haben sollen. Wer damit nicht im Knast landet, kann sich vom Erlös anschließend ein paar schöne Jahre machen.
Ob die Fifa nun auch noch den Aufklärungswillen der brasilianischer Behörden fürchten muss, hängt wohl davon ab, wie weit der Verband, der sich angesichts der WM weitgehende Sonderrechte einräumen lässt, der brasilianischen Justiz überhaupt Einblicke in seine Vertriebsstruktur gewährt. Jedes einzelne WM-Ticket trägt eine persönliche Ticketnummer. Die oft auch namentlich gekennzeichneten Eintrittskarten sollen eigentlich einen Weiterverkauf erschweren. Allerdings wird der Billettbesitzer beim Eintritt zu den WM-Spielen nicht überprüft, sodass der Schwarzmarkthandel für die Käufer verhältnismäßig risikolos ist.
Bei ordentlicher Recherche müsste aber anhand der beschlagnahmten Tickets nachvollziehbar sein, woher sie stammen – und ob sie aus dem Fundus der Fifa oder ihrer Mitgliedsverbände stammen.
Deutsche Fans hatten in den letzten Tagen etwa berichtet, dass sie Karten aus dem Vorrat der mexikanischen Föderation auf dem Schwarzmarkt erstanden hatten. Auch gegen Mitglieder des argentinischen sowie des spanischen Fußballverbandes ermittelt die brasilianische Polizei bereits. Bei den Tickets, die die elf Tickethändler vertrieben, soll es sich laut Polizei um Bestände aus Reihen der Fifa gehandelt haben – die eigentlich für Sponsoren, WM-Spieler und Nichtregierungsorganisationen gedacht waren.