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Einzelzelle soll vor Übergriffen schützen

Neun Bundesländer wollen den Jugendstrafvollzug einheitlich regeln. Junge Täter sollen einzeln untergebracht werden

FREIBURG taz ■ Der befürchtete „Wettlauf der Schäbigkeit“ wird offenbar ausfallen. Gestern stellten neun Länder unter Führung von Berlin und Thüringen einen gemeinsamen Entwurf für ein Jugendstrafvollzugsgesetz vor. Er sieht zahlreiche Verbesserungen vor und stellt die Resozialisierung der jungen Täter klar in den Mittelpunkt.

Bisher gibt es in Deutschland kein spezielles Gesetz für die 27 Jugendgefängnisse, in denen rund 7.500 Gefangene untergebracht sind. Das muss anders werden, entschied das Bundesverfassungsgericht im letzten Mai. Junge Straftäter bräuchten gesetzlich definierte Haftbedingungen, die auf ihre spezielle Situation eingehen, verkündeten die Richter.

Seit der Föderalismusreform, die im September in Kraft trat, liegt die Zuständigkeit für Strafvollzugsgesetze allerdings nicht mehr beim Bund, sondern bei den Ländern. Bernd-Rüdeger Sonnen, Präsident der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, sah das als Gefahr und warnte vor einem Wettbewerb um den „härtesten, längsten und billigsten Strafvollzug“.

Der Gesetzentwurf, den Berlins neue Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) gestern gemeinsam mit dem Thüringer Justizminister Harald Schliemann (CDU) vorstellte, kann sich durchaus sehen lassen. So sollen junge Straftäter künftig mindestens vier Stunden Besuch im Monat bekommen können. Bisher war, wie für erwachsene Täter auch, nur eine Stunde pro Monat vorgesehen. Das Verfassungsgericht hatte dies beanstandet.

Nachdem jüngst in Siegburg ein junger Häftling von drei Zellengenossen aus Langeweile ermordet wurde, ist die Frage der Zellenbelegung von besonderer Brisanz. Der vorgestellte Gesetzentwurf schreibt die „Einzelunterbringung während der Ruhezeit“ als Grundsatz fest. „Das halten wir zum Schutz der jungen Menschen vor Übergriffen für zwingend notwendig“, betonte Senatorin von der Aue. Nur aus konkreten Gründen, wie bei Suizidgefahr eines Häftlings, darf davon abgewichen werden. Ihr Thüringer Kollege Schliemann betonte allerdings, dass diese Regelung schon „vor Siegburg“ vorgesehen war. Um die Anforderung zu erfüllen, müssten in zahlreichen Bundesländern zusätzliche Haftplätze eingerichtet werden – wenn der vorgestellte Entwurf am Ende auch von den Landesparlamenten beschlossen wird.

An der parteiübergreifenden Initiative wirkten unter Federführung Berlins und Thüringens auch Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein mit.

In ihrem Entwurf ist festgeschrieben, dass Bildung und Ausbildung Vorrang vor bloßer Anstaltsarbeit haben. Außerdem werden mindestens zwei Stunden Sport pro Woche garantiert. Gewalt- und Sexualtäter sollen eine Sozialtherapie erhalten. Geeignete Gefangene sollen in Wohngruppen untergebracht werden.

Die übrigen sieben Ländern planen eigenständige Gesetze für den Jugendstrafvollzug. Diese werden aber nicht unbedingt hinter die Standards der Neuner-Gruppe zurückfallen. So soll es in Nordrhein-Westfalen sogar drei Stunden Sport pro Woche geben, und in Bayern zwei Stunden Hofgang pro Tag. Das ist doppelt so viel wie im Neuner-Entwurf. CHRISTIAN RATH

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