: „Wie Zwiebel schälen“
Aus Berlin Waltraud Schwab
Die Scientologen in Berlin haben es satt. Sie wollen die glanzvolle Eröffnung ihrer neuen Repräsentanz in der Hauptstadt feiern, aber die Presse wirft ihnen Verfassungsfeindlichkeit, gar totalitäre Ziele vor. Deshalb verlangt, das Unternehmen, das sich selbst Kirche nennt, nun von Journalisten, die Auskunft wollen, dass diese sich vorab einer mehrstündigen Schulung über Scientology unterziehen.
Barbara Lieser begrüßt mich in dem lichtdurchfluteten Gebäude in Charlottenburg. Für die nächsten vier Stunden ist sie mein „Guide“. Zu Scientology gehört sie schon fast 30 Jahre. Als sie dazustieß, sei sie sehr introvertiert gewesen. „Das glaubt mir heute niemand.“ Eigentlich Pressesprecherin in Frankfurt, wurde sie zur Verstärkung nach Berlin geholt. Als Auswärtige muss sie den anthrazitfarbenen Anzug der hiesigen Mitarbeiter, die geschäftig wie Ameisen überall herumlaufen, nicht tragen. Ihre Jacke ist türkis. Das betont die blauen Augen.
„Ich gebe Ihnen kein Interview“, steckt Lieser die Grenzen ab. „Es gibt einen Nachholbedarf an echten Recherchen über uns. Dazu müssen Sie sich erst einmal informieren.“ Sie bittet in einen Konferenzraum. Auf dem ovalen Tisch steht ein Blumengesteck. An der einen Wand hängt ein Foto von L. Ron Hubbard, dem Religionsgründer. Ein Allerweltsgesicht. Die andere Wand zieren Gruppenbilder: scientologische Seelsorger in gelben Katastropheneinsatzjacken, scientologische Mädchen in weißen, bodenlangen Kleidern, Scientologen im Glück. Dazu Flachbildschirm, Kaffeemaschine und die Lehre in gebundenen, an barocke Handschriften erinnernden Büchern. Lieser erklärt mir, welche Lektionen auf dem Programm stehen. „Ich lerne mehr im Gespräch“, wende ich ein. Trotzdem führt sie mich in die Ausstellung im Foyer des Gebäudes.
Die Wände sind überladen mit Fotos, Texten und großen Bildschirmen, vor denen rote Sofas stehen. Auf eines setzen wir uns, und Lieser drückt „Play“, um das erste Video zu starten. Schnell geschnitten und mit flotter Musik unterlegt, zeigt es junge, dynamische US-Amerikaner – schwarze, weiße, asiatische –, die berichten, wie glücklich Scientology sie gemacht habe. Sie hätten Hubbards Buch über „Dianetik“ gelesen „And whow – that was it“. Ein anderer: „Jemand hat mich auf der Straße angesprochen: ‚Sie sehen gestresst aus.‘ Er gab mir das Buch. Da stand alles.“ Durch Scientology haben sie alle zu innerem Frieden, zu echtem Lächeln, zu tiefer Erkenntnis, zum Einssein mit dem Universum gefunden. „Thank you Ron Hubbard, thank you Ron, thank you Ron. This is the real thing.“
„Was ist Dianetik?“, frage ich meine Begleiterin. Es sei die Lehre, die Hubbard empfangen habe. Es sei das Buch zum Glück. Der nächste Film erklärt’s so: Im Verstand des Menschen ist jeder Moment des Lebens, auch jene von vor unserer Geburt, unserer Zeit, aufgezeichnet. Allerdings wissen wir von den wenigsten Erfahrungen etwas. Mit den Methoden der Dianetik erhält man dazu Zugang und lernt, sich als universelles Wesen zu erkennen, das Raum und Zeit durchdringt. „Sie machen Reinkarnations-Séancen?“, frage ich. „Nein“, antwortet Lieser. „Sie holen verdrängten Schmerz wieder an die Oberfläche?“ So simpel könne man das nicht sagen. „Um mit Traumatisierung umzugehen, bedarf es guter Therapeuten. Sonst droht Retraumatisierung“, hake ich nach. „Wir beschäftigen uns nicht mit Krankheit“, antwortet sie.
Im nächsten Film lerne ich, dass der Mensch aus drei Teilen besteht. Aus Körper, Verstand und geistigem Wesen. Der donnernde Bass des Kommentators fragt, welches der drei Teile wir sind: „Sind wir ein Körper? Was passiert, wenn uns der Blinddarm entfernt wird? Sind wir dann weniger Körper? Wenn wir kein Körper sind, was sind wir dann? Etwa Verstand?“ Der Logik des Lehrfilms entsprechend trifft von alldem nichts zu. Vielmehr sind wir intelligente Wesen, die über einen achtstufigen Prozess vom bloßen Überlebensimpuls zu höchster spiritueller Unendlichkeit gelangen. Und: „Durch Scientology können Sie Ihr Überlebensniveau auf allen Stufen erhöhen.“ Da frage ich meine Begleiterin, auf welcher Stufe sie steht. Freundlich antwortet sie, dass wir einen Erlösungsweg beschreiten. „Es ist wie Zwiebeln schälen.“ Sie sei allerdings noch nicht beim Kern.
So eingestimmt, geht’s zum Wesentlichen der scientologischen Taktik: zu den Methoden, mit denen man aus Probanden richtig Erlöste macht. Der Film dazu klingt wie eine Wochenschau. Widersprüche sind ausgeklammert. Pro und Contras gibt es ohnehin nicht. Klar ist, wer erlöst werden will, muss durch seine verdrängten Emotionen hindurch. In Sitzungen, die „Auditing“ heißen, hält er zwei Blechrollen in der Hand, die über Kabel an ein Messgerät angeschlossen sind. Dieses zeigt die Oberflächenspannung auf seiner Haut an, während er einem Auditor gegenübersitzt und über sein Leben spricht. Bei stark emotional besetzten Erlebnissen schlägt das Gerät, das nur vom Auditor eingesehen wird, aus. Dieser kann den Fortgang der Sitzung nun beeinflussen, indem er die Kommunkation oder die Realitätswahrnehmung oder etwas, was im Film „Affinität“ genannt wird, verstärkt. „Was ist Affinität?“, frage ich Lieser. „Das Gefühl der Zuneigung oder des Mangels“, antwortet meine Begleiterin. „Und wie verstärkt man das, ohne den Probanden zu manipulieren?“ Die Auditoren erhielten eine umfassende Ausbildung, meint sie.
Hinter uns steht ein solcher Emotionsdetektor. Ich schlage vor, dass sie einen Test mit mir macht. Lieser ist einverstanden. Schon durch unterschiedlichen Druck auf die Blechrollen schlägt der Zeiger aus, stelle ich fest. „Kein Problem“, erklärt sie, „der Auditor lernt, Emotionen von physikalischem Druck zu unterscheiden.“ Nachdem sie mich auffordert, an etwas Schreckliches zu denken, denke ich an jemanden, über den ich mich tags zuvor geärgert habe. Der Zeiger zieht ins rechte Drittel der Skala. Da bleibt er auch, als ich noch konzentrierter an den, der mich geärgert hat, denke. „Sind Sie sicher, dass er sie wirklich geärgert hat?“, fragt sie. „Hundert Prozent.“
Wenn wir mit Gefühlen nicht weiterkommen, dann vielleicht mit der Realität. „Wie beurteilen Sie die Wirklichkeit, in der wir uns gerade befinden?“, frage ich. Lieser verstärkt perfekt. „Ich glaube, dass Sie als Journalistin nicht hier sind, um wirklich etwas über Scientology zu erfahren“, sagt sie. „Wir kooperieren gerne mit den Medien, aber nur, wenn sie objektiv berichten.“ „Was ist objektiv?“, frage ich zurück. „Dass Scientology eine Bewegung ist, die Hilfe anbietet und positive Resultate erzielt hat.“ – „Wenn Scientology so selbstlose Motive hat, warum missionieren Sie dann?“, frage ich. „Was ist mit den Katholiken?“, kontert sie. „Die werden auch kritisiert. Missionierende Religionen handeln mehr aus Eigeninteresse denn aus Nächstenliebe. Selbst wenn der Einzelne, der missioniert, nur redliche Absichten hegt.“ Das musste ich loswerden. „Informieren ist nicht missionieren“, meint sie.
Beim nächsten Film kippt die Situation zwischen uns. Zu sehen sind Feuerwehrleute, Polizisten, ja sogar Verantwortliche der öffentlichen Verwaltung, die den Einsatz der Scientologen bei Unglücksfällen loben. Erst als diese, etwa nach dem Einsturz des World Trade Center und nach den U-Bahn-Bomben in London, vor Ort waren, sei Ordnung ins Chaos gekommen. Irgendwann sage ich: „Schluss. Es reicht. Ich hab die Message verstanden.“ Lieser reagiert, wie es sich für Auditoren gehört: „Sie haben eine aggressive Körperhaltung eingenommen“, meint sie. „Warum sind Sie wütend?“ – „Weil hier Feuerwehrleute, Polizisten und sogar Leute der Londoner Verwaltung, die doch eigentlich zuständig sind im Katastrophenfall, sich zugunsten von Scientology in ein schlechtes Licht stellen. Sie können den Job nicht, die Scientologen können ihn. Das ist Propaganda“, schreie ich mehr als ich spreche. „Sie wollen die Wahrheit nicht hören. Warum ärgert Sie dieses Lob so?“, fragt sie. „Es ist Eigenlob“, antworte ich. „Ist es nicht“, sagt sie. „Es ist PR“, widerspreche ich, „wie die anderen Filme auch. Sie präsentieren Meinungen als Tatsachen.“ Als wissenschaftlich verbrämte Tatsachen. Das denke ich nur. „Ich glaube, es bringt nichts“, sagt Lieser. Ich sage: „Vielleicht trinken wir einen Kaffee.“ Sie willigt ein.
Herausgefordert, wie wir sind, einigen wir uns, die Schulung zu Ende zu bringen. Das Leben des Scientology-Gründers Ron Hubbard kommt als Nächstes. Auch hier gibt es nur begeisterte Stimmen im Film. Als im Krieg verletzter, halbblinder Rollstuhlfahrer sah Hubbard im Krankenhaus, dass man durch Gespräche über schreckliche Erlebnisse die Gesundung fördern kann. So entwickelte er seine spirituelle Lehre, ergänzt Lieser. Bei dem, was man heute über traumatisierte Soldaten weiß, hatte er ein gutes Übungsfeld, denke ich und frage: „Was halten Sie von Freud und der Psychoanalyse?“ Meine Begleiterin verweigert die Antwort.
Als sie mir am Ende die Antidrogenarbeit und die Arbeit der Scientologen in Gefängnissen näherbringen will, sind wir beide weich. Jede beackert nur noch ihr Feld. Sie weiß, dass ich den Test nicht bestanden habe. Wäre ich Scientologen-affin, hätte es – so wurde vorab angedeutet – Wege gegeben, trotz Medienverbots zur Eröffnung zu kommen. „Wenn Sie trotzdem kommen, muss ich Sie wegschicken“, sagt Lieser. Bei mir indes wollen die Erfolgsmeldungen der Organisation nicht wirken. Zu kadermäßig. Selbst Jugendliche werden schon als Anti-Drogen-Marshals vereidigt. „Wir sind erfolgreich. Die Medien wollen es nicht wahrnehmen. Wir bieten einen Weg an. Niemand muss ihn gehen.“ – „Aber warum ist Ihre Zielgruppe so jung oder bereits durch Abhängigkeitsstrukturen aufgefallen?“, wende ich ein. „Warum bauen Sie keine Kliniken, keine Altenheime?“ – „Die Felder sind von anderen besetzt“, sagt sie.
Eine Weile geht das Pingpong noch weiter: „Wie gehen Sie mit Leuten um, die aussteigen?“, frage ich. – „Wenn ich jahrelang mit ihnen zusammengearbeitet habe, sag ich nicht ‚Tschüs‘ und ‚Das war’s.“ – „Ist ihre Familie auch bei den Scientologen?“ – „Mann und Kinder ja, nicht die Eltern und Geschwister.“ – „Wie gehen diese mit Ihrer Religion um?“ – „Locker nach so vielen Jahren.“ – „Und sind die Berliner Scientologen eine reiche Gemeinde?“ –„Das sehen Sie doch.“ – „Machen wir Schluss?“, frage ich. „Oh Gott, ich denke mit Grauen an den Artikel, den Sie schreiben werden“, meint Lieser zum Abschied.