: „Die Menschen konnten es nicht mehr hören“
SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach: Die privaten Versicherungen sind die Gewinner, die gesetzlich Versicherten die Verlierer der Einigung
taz: Herr Lauterbach, herrscht in der SPD jetzt Jubel?
Karl Lauterbach: Die Debatte um die Reform hätte nicht mehr weitergeführt werden können, weil die Öffentlichkeit der Debatte nicht mehr folgen konnte und den Streit zum Teil auch nicht mehr hören konnte. Daher musste auf jeden Fall eine Einigung herbeigeführt werden.
Herrscht wenigstens Erleichterung?
Die Fraktion wird sich am Montag mit dem Ergebnis beschäftigen. Bis dahin kann ich zur Stimmung nichts sagen.
Wer ist Gewinner der Reform?
Klar die privaten Krankenversicherungen, die PKV also, weil sie nicht in den Gesundheitsfonds einzahlen, weil es bei der Zweiklassenfinanzierung bleibt und weil der Basistarif innerhalb der PKV nur sechs Monat offenbleibt und danach eher die gesetzlichen Krankenversicherungen geschwächt werden.
Und die Privatversicherten?
Die gehören nicht zu den Gewinnern, weil die von den zusätzlichen Wahlmöglichkeiten, die jetzt wieder herausgestrichen wurden, ja eher profitiert hätten.
Was wird ein gesetzlich Versicherter von der Reform zuerst spüren?
Zunächst einmal werden die Versicherten in den gesetzlichen Kassen mehr Geld bezahlen müssen, weil die Beitragssätze steigen und ab 2009 zusätzlich Kopfpauschalen gezahlt werden müssen.
Ärzte und Apotheker: Gewinner oder Verlierer?
Die Ärzte können sich ohnehin nicht beklagen, was diese Reform angeht. Insbesondere die niedergelassenen Ärzte müssen keinen Sparbeitrag leisten. Ihre Honorare werden erhöht. Da haben sich die Protestaktionen der letzen Monate ausgezahlt. Die Apotheker müssen richtigerweise einen überschaubaren Sparbeitrag leisten.
Sind Sie froh, dass die Reform jetzt komplett auf 2009 verschoben wurde?
2009 ist Wahljahr. Das macht die Vermittelbarkeit nicht eben leichter.
Hat die Reform in Ihren Augen auch irgendetwas Gutes gebracht?
Den wichtigsten Durchbruch gab es bei Krebspatienten, die demnächst auch Spezialisten behandeln können, die im Krankenhaus tätig sind, selbst wenn die Patienten gesetzlich versichert sind. Dann gab es noch Verbesserungen bei der Vorsorge.
Wie konnte trotz all dieser Verhandlungen in den vergangenen Monaten Ihrer Meinung nach überhaupt so eine Reform zustande kommen, mit der eigentlich kein Politiker glücklich ist?
Das zentrale Problem war, dass die Union eine Verbreiterung des Solidarsystems von vornherein abgelehnt hat. In dem Moment war klar, dass es nicht gelingen würde, die Beitragssätze zu entlasten. Dieser Mangel an Kompromissbereitschaft hat uns überrascht.
Macht man sich in der Fraktion jetzt schon heimlich Gedanken, welche Gesetzte man braucht, um die Folgen dieser Reform abzumildern?
Für mich zeigt diese Reform: Die Bürgerversicherung wird mehr benötigt denn je.
INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN