: Erfolgreiche Handballerinnen in feindlicher Umgebung
Die letzte deutsche Meisterschaft liegt 20 Jahre zurück. In der laufenden Saison könnte den Handballerinnen von Bayer Leverkusen das Comeback gelingen. Trotz der Erfolge in Verein und Nationalmannschaft bleibt das Interesse der Öffentlichkeit aus. Auch der „frauenfeindliche“ WDR trägt eine Mitschuld. Handball-WM der Männer könnte Wende bringen
LEVERKUSEN taz ■ Davon können die männlichen Fußballkollegen nur träumen: zwölf deutsche Meisterschaften stehen für die Handballfrauen von Bayer Leverkusen zu Buche. Trotzdem sind die Damen des Werksclubs bis heute nicht aus dem Schatten der mit Vize-Meisterschaften überhäuften Fußballprofis herausgetreten. Wer an Bayer denkt, denkt an Aspirin und Fußball und nicht an Handball. „Unser Problem war immer schon, dass wir in einem Großverein untergebracht sind“, sagt Renate Wolf, Trainerin der Leverkusener Handball-Damen. Als Spielerin hat die 49-Jährige die großen Erfolge in den 1980ern miterlebt. Und daran möchte sie gerne anknüpfen.
Als Saisonziel hat der Verein das Finale um die deutsche Meisterschaft ausgegeben. „Ganz schön mutig“, sagt Wolf. In der Bundesliga belegen die Leverkusenerinnen derzeit zwar Rang drei und im EHF-Pokal, vergleichbar mit dem fußballerischen Uefa-Cup, wurde am Wochenende nach zwei Siegen gegen den Schweizer Meister SpoAuchno Nottwill (39:20 und 39:26) souverän das Achtelfinale erreicht – dennoch glaubt sie, dass es schwierig wird, die Erfolge der Vergangenheit zu wiederholen. „Die Konkurrenz ist einfach größer als früher“, sagt Wolf. Damals gab es die Frauen von Bayer Leverkusen und dann kam lange nichts. Erst Ende der 1980er Jahre stieg das Team des TV Lützellinden zum ernsthaften und später übermächtigen Gegner auf. Es war das Ende der ersten Bayer-Ära.
International gelang den Leverkusenerinnen vor knapp zwei Jahren das Comeback. 2005 gewannen sie den europäischen Challenge-Cup – eine Art EHF-Pokal light. 2002 waren sie im deutschen Pokal letztmals national erfolgreich. Die letzte Meisterschaft liegt noch länger zurück: 1987 holten die Leverkusenerinnen zum letzten mal den Bundesliga-Titel. Es war die sechste Meisterschaft in Folge. Gleichzeitig endete auch die Erfolgsserie der Mannschaft um die Nationalspielerinnen Petra Platen, Torhüterin Astrid Hühne Seifert und der jetzigen Trainerin, Managerin und Geschäftsführerin Renate Wolf.
Die ehemalige Kreisläuferin ist seit 1975 im Verein. Parallelen zu ihrer aktiven Zeit möchte sie nicht ziehen. Die Voraussetzungen seien halt nicht vergleichbar: Der Hauptverein hat sein Engagement zurückgefahren, gleichzeitig hat die Konkurrenz aufgerüstet. „Wir liegen mit unserem Budget im unteren Drittel der Bundesliga“, so Wolf. Außerdem sei es heute wesentlich schwieriger, den Frauenhandball zu vermarkten.
In den erfolgreichen Jahren bekamen die Damen des TSV Bayer Leverkusen schon einmal 15 oder 20 Minuten Sendezeit in der ARD-Sportschau. Das Team um WDR-Reporter Werner Lux sendete regelmäßig aus der Ulrich-Haberland-Halle. Heute müssen sie schon im Osten der Republik spielen, um im Fernsehen aufzutauchen. MDR und RBB übertragen – angefixt von den Erfolgen der HC Leipzig – live die Spiele der Damen-Bundesliga. Im Westen bleibt der Bildschirm parallel dazu dunkel. „Man kann den Verantwortlichen des WDR da schon eine gute Portion Frauenfeindlichkeit vorwerfen“, sagt Wolf. Als Bayer 2005 am Endturnier um den Challenge-Cup teilnahm, war der Kölner Sender nicht dabei. „Die hatten davon nichts mitbekommen.“
Der mittlerweile im Ruhestand angekommene ehemalige Sportchef der ARD, Heribert Faßbender, sagte 2006 zur taz: „Wenn man dem glaubt was unsere Zuschauerforscher sagen, dürften wir nur noch Fußball zeigen und keine andere Sportart.“ Auch Handball, als Mannschaftssport Nummer zwei, habe in Deutschland keine Chance. Er bedauere dies, so Faßbender damals.
Aus dem Bedauern kommt er wohl nicht mehr raus. Selbst bei der Handball-Europameisterschaft, die im Dezember in Schweden stattfand, mussten Handball-Interessierte auf den Sender Eurosport ausweichen. Der vierte Platz der deutschen Frauen-Nationalmannschaft ging medial beinahe unter.
Sechs Leverkusenerinnen nahmen an der EM teil. Die Bayer-Torfrauen Sabine Englert und Clara Woltering sowie Anne Müller, Anna Loerper, Nadine Krause und Sabrina Neukamp gehörten zum Stamm der National-Sieben. Krause holte zudem die Torjägerkrone. Ein Resultat langjähriger Arbeit. Seit 1999 kümmert sich der Verein intensiv um die Nachwuchsförderung – Internat, Ganztagsbetreuung, Ausbildung. Wo die Konkurrenz – mit Ausnahme des Tabellenvierten Trier, der eine ähnliche Philosophie verfolgt, wie Bayer Leverkusen – vor allem auf ausländische Stars setzt, „formen“ Renate Wolf und ihr Trainerstab vor allem deutsche Spielerinnen. „Unser Konzept geht auf“, sagt sie.
Unterstützung bekommt sie dabei von Andreas Thiel. Der ehemalige Torhüter des VfL Gummersbach und 256-fache Nationalspieler kümmert sich als Co-Trainer vor allem um die Torhüterinnen. Vor allem Clara Woltering habe von den Künsten des „Hexers“ profitiert, sagt Wolf. Und auch Thiel ist mit seiner Arbeit zufrieden. „Die Arbeit mit den Torfrauen ist interessant, auch deshalb, weil ich dabei nicht so stark im Rampenlicht stehe wie vielleicht in der Männer-Bundesliga“, sagt er. Thiel arbeitet hauptberuflich als Rechtsanwalt in Köln. Einen Job als verantwortlicher Trainer könne er sich daher nicht vorstellen. Auch nicht in Leverkusen.
Verzichten auf ihren einzigen Mann müssen die Bayer-Damen derzeit aus anderen Gründen. Thiel versucht im Vorfeld der Handball-Weltmeisterschaft der Männer, die am Freitag in Berlin beginnt, die Torhüter der deutschen Nationalmannschaft in WM-Form zu bringen. „Wir hoffen natürlich, dass die männlichen Kollegen erfolgreich sind“, sagt Renate Wolf. „Wenn die Männer für Schlagzeilen sorgen, profitiert auch der Frauenhandball davon.“ Und vielleicht merkt auch der Gesamtverein Bayer Leverkusen, dass Vize-Meisterschaften im Fußball nicht alles sind. HOLGER PAULER