Universitäre Beinspiele

SPORT Seit mehr als 40 Jahren kämpfen in der TU-Liga illustre Teams wie Coole Wampe und Dynamo Blutgrätsche um den Titel. Nicht nur Studierende stehen auf dem Platz

■ Die Liga ist offen für alle, zu Beginn der aktuellen Saison wurden allerdings für externe Spieler Auflagen eingeführt. Je Externem muss eine Gebühr von 22 Euro bezahlt werden. Als Externe gelten Spieler, die keine Hochschulmitglieder oder TU-Alumni sind.

■ Im letzten Semester nahmen auch 15 Frauen am Spielbetrieb teil. Es gibt ein schwules Team.

■ Die Saison ist an das Semester gekoppelt (Hinrunde: Winter-, Rückrunde: Sommersemester). Da wegen des harten Winters viele Spiele ausfielen, wird auch in den Semesterferien gespielt. (mor)

■ Infos: www.tu-sport.de/index.php?id=263&L=0

VON MORITZ FÖRSTER

Studieren und Sport – nicht immer passt das zusammen. Schließlich reicht den meisten Studierenden der Leistungsdruck in den Seminaren schon aus. Entsprechend unkonventionell geben sich die Fußballligen der Technischen Universität (TU): Hier tummeln sich Mannschaften wie Coole Wampe, Dynamo Blutgrätsche oder Bertha Becks auf abgespielten Kunstrasenplätzen im gesamten Stadtgebiet. Insgesamt 61 Teams in sechs Gruppen kämpfen um Sieg, Aufstieg und Meisterschaft, die Wurzeln der Traditionsrunde liegen in den 60er Jahren. Es ist eine Art Parallelwelt. Dort herrscht eine Mischung aus Spaß am Spiel und sportlichem Ehrgeiz – ganz ohne die übliche Vereinsmeierei und ohne jegliche Spielerpässe: Dazu gehört, wer mitspielt.

„Ey Schiri, das ist eine Grätsche!“ Die Spieler der FGZ Berlin sind außer sich, ist doch das Grätschen in der TU-Liga strikt verboten. Mit etwas Verzögerung pfeift der Schiedsrichter doch noch. Der Referee ist diesmal einer von der gemütlichen Sorte: Jeans, rote Jacke, blaue Mütze, braune halbhohe Lederstiefel und immer in sicherer Nähe des Mittelkreises unterwegs.

Das mit den Schiedsrichtern ist eine Besonderheit der TU-Liga. Denn sie sind grundsätzlich auch nur Spieler anderer Mannschaften. Hauptsache, sie haben eine Trillerpfeife dabei. Besondere Spezialisten in Sachen Referee waren die Akteure von Cameroon Power, die in den 90ern dreimal in Folge den Titel geholt hatten: Das Spitzenteam vergaß in der vergangenen Saison gleich zweimal, einen Schiedsrichter abzustellen – als aktueller Tabellenführer. Da sind die Uniligaregeln rigoros: Statt Meisterfeier ging’s eine Liga runter. Jetzt powern die Kameruner wenig erfolgreich in Liga zwei.

Nicht ganz so strikt sind die Zugangsbedingungen. „Die Liga ist ein Schmelztiegel“, sagt Doris Schmidt, Leiterin des TU-Hochschulsports. Die meisten der rund 1.300 Aktiven sind zwar an einer Universität beschäftigt oder eingeschrieben, darunter insbesondere Studierende der TU, FU und auch Humboldt-Uni, vereinzelte Spieler haben ihre wilde Unizeit aber inzwischen lange hinter sich oder sind ohnehin über ihre Arbeitskollegen dazugestoßen. So ergeben sich die seltensten Konstellationen: Im einstigen Team Chaos Kickers – Motto: „Never change a losing Team!“ – spielten neben einem millionenschweren Baulöwen auch ein Sozialhilfeempfänger und ein notorischer Betrüger, so Letztgenannter gerade auf freiem Fuße war.

In über 40 Jahren hat die Uniliga auf dem Spielfeld schon einige ausgefallene Charaktere vereint: nicht als Chef und Angestellter oder Hochschullehrer und Student, sondern als schneller Linksaußen und knallharter Manndecker. Hierarchien aus dem echten Leben werden ad acta gelegt. Filigrantechniker und Rumpelfüßler spielen über Jahre hinweg im gleichen Team.

Fristen müssen nur zu Saisonbeginn eingehalten werden, und auf der obligatorischen Vollversammlung entscheidet das Plenum ganz basisdemokratisch über Regeländerungen. So kann eine Mannschaft beliebig oft ein- und auswechseln und auch Vereinsspieler oder Aktive anderer Mannschaften einsetzen, schließlich sind die Spieler namentlich überhaupt nicht gemeldet. Gespielt wird auf Großfeld, elf gegen elf. Wer eine neue Mannschaft anmeldet, steigt in der vierten Liga ein.

Fossilien sind raus

Auf einer Vollversammlung entscheidet das Plenum über Regeländerungen

Besondere Popularität genoss die TU-Runde Anfang der 80er Jahre, als fast 100 Mannschaften in bis zu zehn Gruppen aktiv waren. Traditionsmannschaften wie Studentendorf mischen fast seit Beginn mit. Auch die Statistiker und Mathematiker von FES Fossil, meist ehemalige Schüler der Friedrich-Ebert-Schule, waren seit 1978 durchgehend dabei – bevor sie vom eigenen Namen eingeholt wurden und sich vor der aktuellen Saison vom Spielbetrieb verabschiedeten.

Mitten im Rennen um die Meisterschaft stecken derweil die Jungs von Bertha Becks. Der Titelverteidiger und, seit der Jahrtausendwende, fünfmalige Meister unterstreicht auch an diesem Sonntagmorgen im Spiel gegen die FGZ Berlin seine Ambitionen. Just mit dem Schlusspfiff ist dann das halbe Dutzend voll und Sebastian Conrad sichtlich erleichtert: „Denn ein 5:0 sieht so aus, als ob der Gegner nicht angetreten ist.“

Conrad ist der dienstälteste Spieler des Teams, das 1989 während der Unistreiks gegründet wurde. Seit 1992 ist er bereits für die einstige Germanistentruppe am Ball. „Damals wurde in der Halbzeitpause noch diskutiert, ob Habermas oder Adorno recht hat“, sagt er und schmunzelt. Inzwischen sei die Liga etwas professioneller. „Es ist zwar eine Freizeitliga, die wird aber von allen ernst genommen“, pflichtet auch Fabian Gongoll bei, der seit dieser Spielzeit für die Organisation zuständig ist.

Was ist Bertha Becks Erfolgsrezept? Sebastian Conrad, der nach dem Kantersieg entspannt am Spielfeldrand steht, sagt: „Wir spielen das taktische System der WM 1990, ein Uraltsystem, damit kann man eigentlich gar nicht mehr gewinnen.“