Heil in der Nervenheilanstalt

Voll von Alarmstimmung: Rolf Hochhuths „Heil Hitler!“, uraufgeführt an der Akademie der Künste am Hanseatenweg, verfehlt sein Ziel

Die Vorgeschichten häufen sich. Nicht zu seinem Besten. Sie haben den Dramatiker Rolf Hochhuth zwar immer wieder in das Licht der Öffentlichkeit gerückt, aber ihm dabei auch den Ruf eingehandelt, dass seine Theaterpremieren ihre besten Momente mittlerweile vorab haben. Im Vorfeld von „McKinsey kommt“ zum Beispiel hatte die Deutsche Bank rechtliche Schritte erwogen, weil sie aus dem Text Verständnis für einen Mordaufruf an Josef Ackermann herauslas. Dass mit „Heil Hitler!“ nun eine neue Hochhuth-Uraufführung anstand, erfuhr man überhaupt erst, als sich vor einer Woche die Plakatierungsfirma weigerte, die Premierenplakate in U-Bahnhöfen zu kleben. Die Firma witterte Gefahr im Verzug. Der Schriftzug und das Hakenkreuz, hieß es, sei nicht auf Anhieb als Werbung für ein Theaterstück zu erkennen.

Hochhuth und sein Plakatgestalter Klaus Staek, immerhin Präsident der Akademie der Künste, die die zwei Aufführungen beherbergte, beschwichtigten erfolgreich. Und Rolf Hochhuth nutzte die Gunst der Stunde, Dani Levys Filmkomödie „Mein Führer“ mit Kritik zu belegen und sein eigenes Stück als „grotesk, ironisch und humoristisch“ anzupreisen. Worauf man natürlich gleich „Stimmt nicht“ rufen muss. Denn „Heil Hitler!“ hat zwar mit dem Jungen Till eine Hauptfigur, die spitzfindig die Führerliebe auf die Spitze treibt und den eigenen kleinen Wahnsinn vortäuscht, um den großen allgemeinen Wahnsinn zu bekämpfen, aber lustig ist das nicht, eher grimmig. Voll von Alarmstimmung und „Wehret den Anfängen“-Trompetenstößen.

Die Aussage, dass Widerstand möglich ist, hat die Dramaturgie fest im Griff. Bis plötzlich und unvermittelt in einer Szene der Dichter Jakob von Hoddis auftaucht, der, historisch verbürgt, lange Jahre in Nazi-Nervenheilanstalten eingewiesen war. Nicht minder überraschend endet das Stück damit, dass Till sich an dem Mörder seines Vaters rächt.

Es bräuchte einen besonders drastischen Regisseur, einen, der dem Dramatiker Hochhuth nicht alles glaubt, um dem Verlauf der Handlung Nachdrücklichkeit zu verleihen oder die Groteske dingfest zu machen. Doch dazu ist es schon im vergangenen Sommer nicht gekommen. Das Nationaltheater Weimar steckte bereits mitten in den Proben zu „Heil Hitler!“, als Hochhuth mit Klage drohte, weil die Rollen der zwei regimetreuen Nervenärzte von Frauen gespielt werden sollten. Das Theater zog sich freiwillig zurück. Und weil sich zurzeit kein namhaftes Theater findet, das seinen radikalen Anspruch auf poetische Unantastbarkeit blind befolgt, hat Hochhuth die Uraufführung von „Heil Hitler!“ nun selbst in die Wege geleitet. Die von ihm gegründete Ilse-Holzapfel-Stiftung hat die Finanzierung gesichert. Regie führt Lutz Blochberger, der als Schauspieler bereits in „McKinsey kommt“ am Theater in Brandenburg mitgewirkt hat.

Man kennt sich also und will nichts falsch machen. Wenn sich die Bühne zu Beginn mit heulendem Sirenenalarm füllt, dann sind die Rollen und Sympathien schnell verteilt. Der verschlagene Blockwart mit dem Megafon in der Hand hat Tills Vater denunziert, weil der den Hitlergruß verweigerte. „Ich erstatte Anzeige, wie sich das gehört: hier hereinzukommen, ohne Heil Hitler zu sagen“, wird ihm der Junge vorwerfen und mit kindlicher Unschuld den Spieß umdrehen. Seine unerschütterliche Naivität legt der Schauspieler Ludwig Blochberger, Sohn des Regisseurs, auch in den folgenden zwei Stunden nicht ab.

Doch die Persiflage auf die Herrschaftsverhältnisse im Faschismus glaubt man nicht. Alles funktioniert so geölt wie in der Puppenkiste. So herrlich blöd und leicht übers Ohr zu hauen sind Blockwart, Schutzpolizisten und Irrenaufseher, dass der junge Simulant zwar die Lacher, aber nicht die Moral des Widerstands auf seiner Seite hat.

Im letzten Bild führt ein Kamin-Schornstein bis fast unter die Beleuchtungsanlagen. Von ihm wird Till den Blockwart hinunterstürzen, um mit Mord den Mord am Vater zu rächen. Das Ende hängt schon an Hochhuths Text wie ein Wurmfortsatz, der den Ansatz zunichte macht, moralische Ansprüche von den Konsequenzen des eigenen Handelns zu unterscheiden. Und wenn es auf der Bühne krachledern im Schornstein poltert, dann entfaltet sich ein triviales Ende, das keine Haltung sein kann: als sei der Todesstoß nur ein Dummer-Jungen-Streich. Dem Anspruch von Hochhuth, immer die richtige Stimme zu sein, tut die Inszenierung damit keinen Gefallen. Aber er sich selbst auch schon lange nicht mehr. SIMONE KAEMPF