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Archiv-Artikel

Rivalität der Schillernden

Wie die Mode die Idee der Kunst stahl: Alicia Drake erzählt in ihrem Buch „The Beautiful Fall“, wie es dazu kam, dass Yves Saint Laurentin den 70er-Jahren Picasso vom Thron stieß

von ISABELLE GRAW

Dieses Buch sorgt für Aufregung: von Karl Lagerfeld in der Zeit als „Schundliteratur“ verunglimpft, wurde es zugleich von der angloamerikanischen Presse dafür gerühmt, mit wertvollem Gossip aufzuwarten und nützliche Einblicke in die Kulissen der Pariser Modeszene der 60er- und 70er-Jahre zu geben. Beides stimmt. Ohne Frage ist „The Beautiful Fall“ von Alicia Drake eine Fundgrube. Man merkt dem Buch aber auch an, dass die Autorin regelmäßig für die britische Vogue schreibt. So unterhaltsam die Lektüre auch sein mag, tendiert es leider dazu, jede Aussage der befragten Interviewpartner/innen mit unumstößlichen Fakten gleichzusetzen.

Dass Augenzeugenberichte nicht unbedingt für bare Münze zu nehmen sind, dass jede Ex-Muse, jeder Ex-Mitarbeiter eines Couture-Hauses und jeder Ex-Clubbesitzer sein/ihr eigenes Süppchen am Kochen hat, bleibt ausgeblendet. Zugute halten muss man Alicia Drake allerdings, dass sie all diese Leute persönlich aufgesucht und auf diese Weise deren Bedeutung für die spezifische Gestimmtheit kultureller Produktion gewürdigt hat. Sie macht auch klar, dass es das Nachtleben war, in dem die zentralen Schlachten um Stilvormacht und modischen Vorsprung der 70er-Jahre ausgetragen wurden. In Paris waren es Yves Saint Laurent und Karl Lagerfeld, die hier mit ihrer jeweiligen Entourage gegeneinander antraten.

Die Muse als Produzentin

Besonders hoch anzurechnen ist Drake, dass sie den Models und Musen – Betty Catroux, Victoire, Loulou de la Falaise – Gerechtigkeit widerfahren lässt. Speziell Saint Laurent sei auf Loulou de la Falaise geradezu existenziell angewiesen gewesen. Sie war modische Vorreiterin und lebte ihm jenen exzentrisch-freizügig-mondänen Lebensstil vor, den er genau studierte und umzusetzen wusste. Musen waren anders ausgedrückt Produzent/innen jener Körper, jenes Looks und jenes Lebensgefühls, die ein erfolgreicher Designer in den 60ern und 70ern zu evozieren in der Lage sein musste.

Wer an einer Kulturgeschichte der Mode interessiert ist, kommt in diesem Buch ebenso auf seine Kosten wie eingeschworene Fans von Lagerfeld oder Saint Laurent. Letztere werden mit tonnenweise biografischen Informationen sowie Mythen und Mythenkorrekturen versorgt. Von Yves Saint Laurent wird zum Beispiel die anrührende Geschichte erzählt, dass er schon als kleiner Junge, in Nordafrika (Orlan) lebend, seinen Schwestern nachts Zettel unter die Türe geschoben habe, wo er sie als privilegierte Gäste seiner Modenschau einlud. Einmal abgesehen von der in einer solchen Kindheitsanekdote natürlich mitschwingenden retrospektiven Verklärung, die uns Saint Laurent als frühkindliches Genie zu präsentieren sucht, könnte man mit Verweis auf diese Geschichte auch den Mythos von Saint Laurents ausgeprägtem Gegenwartsbezug widerlegen. Denn schon damals musste er seine Lebensbedingungen verkennen, um sie um so besser gestalten zu können.

Gleichwohl stehen seine berühmten Kollektionen der späten 60er- und 70er-Jahre bis heute in dem Ruf, als Erste die Aufbruchstimmung der sozialen Bewegungen, inklusive sexueller Befreiung und Emanzipationsbegehren der Frauen, in die Sprache der Mode übersetzt zu haben. Speziell seine bahnbrechende Kollektion des Jahres 1968 wurde mit der Studentenrevolte in Verbindung gebracht, so als habe Saint Laurent Seite an Seite mit den Studierenden auf den Barrikaden gekämpft – ein Eindruck, den er durch Solidaritätsadressen zu untermauern suchte. Drake weist jedoch darauf hin, dass er den Sommer 1968 keineswegs auf den Straßen von Paris, sondern am Pool liegend in seinem Haus in Marokko verbracht habe. Von dort aus habe er jene Entwürfe gezeichnet, die den Geist der sozialen Bewegungen scheinbar unmittelbar in sich trugen.

Herkunftsmythen

Auch für Karl Lagerfeld wird der Beweis angetreten, dass es sich bei seinen Selbstauskünften zu seinem familiären Hintergrund stets um Herkunftsmythen handelt, von denen bezeichnenderweise gleich mehrere Versionen zirkulieren. Man hat die Wahl zwischen unterschiedlichen Geburtsdaten, und Drake plädiert für das von ihr für wahrscheinlich gehaltene: 1933. Wenn Lagerfeld in seinen gerne zum Besten gegebenen Kindheitserinnerungen stets Hauspersonal oder ein herrschaftliches Anwesen heraufbeschwört, lässt dies auf großbürgerliche Verhältnisse schließen. Sein Bemühen, sich als Sohn aus reichem Hause zu präsentieren, wird von Drake jedoch mit ihren Recherchen vor Ort konfrontiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei seine Familie in ein kleines Haus nach Bad Bramstedt – einem wenig glamouröses Städtchen vor den Toren Hamburgs – gezogen. Mögen diese Korrekturen seines Selbstbildes nun zutreffen oder nicht – entscheidend ist, dass sie von ihm als so bedeutsam erachtet werden, dass er Drake „100 Ungenauigkeiten“ vorwirft.

Karl Lagerfelds Klage gegen Drake beweist einmal mehr, dass Modedesigner heute nicht allein auf ihre Entwürfe zählen können. Sie müssen sich selbst und ihre Lebensgeschichte möglichst schillernd und glamourös inszenieren, und Lagerfeld ist darin bekanntlich ein Meister. Wenn ihm nun jemand wie Drake diese Arbeit an der Legende buchstäblich aus der Hand nimmt, um seiner eigenen Legendenbildung eine andere entgegenzusetzen, dann kann dies tatsächlich geschäftsschädigend sein. Seine Entscheidung, Drake auf Schadensersatz zu verklagen, erscheint aus dieser Sicht nachvollziehbar. Andererseits könnte er sich auch souverän zurücklehnen. Denn er kommt in diesem Buch alles andere als schlecht weg. Während Saint Laurent eher dem altmodischen Bild des von Depressionen heimgesuchten, gequälten Künstlers entspricht, der allerdings über einen genialen Manager namens Pierre Bergé verfügte, wird Lagerfeld als eine Art „postexpressiver“ Künstler dargestellt, der sich in die Welt seiner unterschiedlichen Auftraggeber einzudenken vermochte und zudem grundsätzlich dafür Sorge trug, dass sich seine Kollektionen auch gut verkauften.

Lagerfeld hat die Bedingungen, die ihm der Markt diktierte, so illusionslos betrachtet, wie es ihm zuweilen gelang, diese Bedingungen zu gestalten und neu auszuhandeln. Er war beispielsweise der erste Designer, der die kommerzielle wie imagemäßige Bedeutung des Accessoires erkannte. Entsprechend wird heute der modische Auftritt daran bemessen, ob auch eine der „It-Bags“ der Saison mit im Spiel ist. Bereits in den 80er-Jahren präsentierte Lagerfeld Entwürfe, bei denen es weniger auf die Kleider denn auf Handtaschen und vor allem jene für Chanel typischen langen Perlenketten ankam.

Die Achse der Rivalität

Drake zufolge war es die Achse der Rivalität zwischen Lagerfeld und Saint Laurent, die die Pariser Modeszene der 70er-Jahre in zwei Lager teilte – inklusive gelegentlichen Überlappungen. Ursprünglich miteinander befreundet, traten sie in ein Konkurrenzverhältnis zueinander, das angeblich in einem Liebesdrama kulminierte. Das Objekt des Begehrens soll Jacques de Bascher gewesen sein – ein im Jahre 1989 an Aids verstorbener Dandy und Lebemann mit feinen Zügen, der zuerst mit Lagerfeld befreundet war, um ihm dann kurzzeitig von Yves Saint Laurent ausgespannt zu werden.

In der Figur „Jacques de Bascher“ verdichten sich die Begehrensströme der damaligen Modeszene: Aristokratieversessenheit, eine Vorliebe für opulente Inszenierungen und Drogenexzesse sowie der Kult um als geschmackssicher geltende Personen, die nicht im herkömmlichen Sinne produktiv sind, aber deren Leben gleichsam zur Arbeit geht. Bascher führte originelle Outfits vor, verwandelte seine Wohnungen in radikale Schaufenster und richtete bis heute unvergessene thematische Feste aus. Die kulturwissenschaftliche Erforschung dieses auch in der Kunstwelt vertretenen Typus würde sich meines Erachtens schon insofern lohnen, weil sich in ihm jenes biopolitische Anforderungsprofil abzeichnet, das heute allgegenwärtig ist. Seine Produktion ist eine von Erscheinungsbildern, Stimmungen und Affekten.

Auch Yves Saint Laurent arbeitete dem biopolitischen Imperativ zu, da er seinen nackten Körper schon früh in die Waagschale warf, und zwar anlässlich der Lancierung seines ersten Herrenparfums „YSL“. Man hat es hier mit einem frühen Beispiel für den heute selbstverständlich gewordenen Zusammenfall von Produkt, Name und Körper des Produzenten zu tun. Für das Werbefoto ließ er sich nackt, in nachdenklicher Pose, fotografieren.

Auch die personellen Überschneidungen zwischen Mode-und Kunstwelt, die ja in letzter Zeit extrem ausgeprägt waren, hat es damals punktuell schon gegeben. Bevor er sich der Lancierung von Saint Laurent als Künstler verschrieb, hatte der bereits erwähnte Pierre Bergé die Karriere des französischen Nachkriegsmalers Bernard Buffet vorangetrieben. Buffet ist ein frühes Beispiel für das heute omnipräsente Modell des „Celebrity Artist“, wobei Warhol Buffet bezeichnenderweise einmal zu seinem Lieblingskünstler in Frankreich erklärte. Nur sank Buffets Stern im Kunstbetrieb und mit ihm sollte die bildende Kunst in Paris endgültig ihre Vormachtstellung verlieren.

Vormacht der Mode

Es war die Mode, die an die Spitze der kulturellen Hierarchie getreten war, was der ohnehin schwindenden Autorität der „École de Paris“ den letzten Stoß versetzte. Für diesen Ablöseprozess symptomatisch ist Drake zufolge, dass es nicht Picasso, sondern seine Tochter Paloma Picasso war, deren berühmtes Porträt von Helmut Newton den Zeitgeist verkörperte. Auch sie hatte ein Parfum lanciert und spielte die Rolle der allseits hofierten Celebrity.

Sowohl für das ausgeprägte Begehren der Mode, sich der Kunst anzunähern, als auch für die Verwandlung lokaler Szenen in Kulturindustrien hat diese Formation also die Folie geliefert. Von Drake ausgehend könnte man die 70er-Jahre als eine Art Übergangszeit charakterisieren. Denn einerseits war es den Designern damals noch möglich, relativ unbehelligt von den ökonomischen Auflagen globaler Unternehmen zu arbeiten, andererseits kündigte sich die heutige „Corporate Culture“ – etwa die Bedeutung der Marke – damals bereits an. Speziell Lagerfeld habe es besonders gut verstanden, den der Mode immanenten und vom Designer zunehmend geforderten Opportunismus für sich produktiv zu machen. Er begriff auch frühzeitig, dass im Zuge der Celebrity Culture nicht das vormals Leistung Genannte, sondern Bekanntheit zählt.

Die größte Schwäche von „The Beautiful Fall“ ist am Ende darin zu sehen, dass dieses Buch seine Geschichte als Verfallsgeschichte erzählt, wie der lyrische Titel bereits vermuten lässt. Zwar sei unbestritten, dass zahlreiche der AkteurInnen, die ihr Leben in den 70er-Jahren in Pariser Clubs wie „Le Sept“ und später „Le Palace“ mit Drogenexzessen verausgabten, dies mit ihrem Leben bezahlen mussten. Nur heißt dies meines Erachtens noch lange nicht, dass eine bestimmte glorreiche Zeit nun an ihr Ende gekommen ist. Auch unter den Bedingungen der derzeit vielgeschmähten Eventkultur lassen sich individuelle Freiräume aushandeln, vorausgesetzt, man hat die Macht dazu.

Als Beispiel wäre Lagerfelds Kollektion für H&M zu nennen, für die es ihm schließlich gelang, dem Konzern einige Bedingungen – etwa die Vermeidung der üblichen Billigmaterialien – zu diktieren. Angesichts einer ökonomischen Ratio jedoch, die Umsatz zum einzigen Kriterium erhebt, sind solche Spielräume, zumal für junge Designer, inzwischen tatsächlich eng bemessen. Kein Wunder, dass sich das Modepersonal derzeit so sehr für die bildende Kunst zu begeistern vermag, auf die ein Autonomieversprechen projiziert wird, das die marktbedingte Fremdbestimmtheit künstlerischer Produktion vollständig ignoriert. Der Markt ist der Kunst keineswegs äußerlich, nur hat man es hier im Vergleich zur Mode mit anderen Gesetzmäßigkeiten zu tun, die als weniger übermächtig empfunden werden können. Es wäre nicht das erste Mal, dass uns die Mode auch in dieser Beziehung die Augen öffnet, um der Kunst ihre wahren Bedingungen vorzuführen.

Alicia Drake: „The Beautiful Fall: Fashion, Genius and Glorious Excess in 1970s Paris“, Bloomsbury Publishing 2006, 448 Seiten, 20 £