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Archiv-Artikel

Bohemiens mit Schaltkreisen

Das „phaeno“, die Wolfsburger Erlebnislandschaft für Naturwissenschaften, gönnt sich ein Festival. Auf der phaenomenale begegnen sich Kunst-Hipster und erlebnishungrige Familien. An diesem Wochenende wurden die menschlichen Seiten der Roboter erkundet: Sie malen, jagen und balancieren

VON ANNEDORE BEELTE

Er geht mit dem Kopf ganz nah heran an sein Modell wie ein Kurzsichtiger. Dann zeichnet er mit groben Strichen von oben nach unten: Baseballcap, Haarfransen, Brille. Das Ergebnis ist skizzenhaft, unfertig. „Ich habe ja eine Halbglatze“, beschwert sich das kleine Mädchen. Naja, nur ein paar Haarsträhnen umrahmen das Gesicht. Doch das ist unverkennbar ihres. Wie ein eitler Taschenspieler zeigt der Roboter sein Werk – bevor er zum Schwamm greift und alles wieder auslöscht.

Schnittstellen von Mensch und Maschine zu erkunden, ist das Ziel der ersten „Phaenomenale“. Zum ersten Geburtstag hat sich das Phaeno, die Wolfsburger Wissenschafts-Erlebnislandschaft, ein eigenes Festival geschenkt. In einem Betonufo der Architektin Zaha Hadid, das sich wunderbar in das Sixties-Flair von Bahnhof und Volkswagen-Werk einpasst, sollen sich Kunst und Wissenschaft begegnen.

Das klappt prima mit den Zeichner- und DJ-Robotern der Karlsruher Künstlergruppe Robotlab, die zwischen physikalischen Experimentierstationen von erlebnishungrigen Familien bestaunt werden. Robotlab kultiviert die Verwechslung von Mensch und Maschine. Wahrscheinlich lachen sich die Künstler ins Fäustchen, wenn man ihren Maschinen Eigenschaften wie „kurzsichtig“ oder „eitel“ unterstellt oder spekuliert, ob es sich um ein männliches oder weibliches Exemplar handelt.

Aber auch in Gommels Stimme mischt sich Emotion, als er berichtet, wie sein Sponsor, eine deutsche Robotikfirma, die erste Generation Kunstroboter verschrottete. „Wenn sie so auf Europaletten gepackt werden, und dann kommt der Truck ... Wir haben so viel zusammen erlebt.“

Für die Robotik-Workshops der Künstlergruppe f18 wird es schon schwieriger, in Wolfsburg ein Publikum zu finden. Hier trifft der 13-jährige Jan-Nicolai, ein leidenschaftlicher Elektronik-Bastler, eher schweigsam, kariertes Maschinenbauer-Hemd, auf zwei hippe Ausstellungsmacherinnen, die aus Berlin und Dresden angereist sind, um beim Basteln die Grenzen von Mensch und Maschine auszuloten. Eine echte Begegnung dieser gegensätzlichen Welten findet nicht statt – auch nicht, als nach drei Stunden fragile Holzgebilde durch den Raum flitzen, an Tischkanten entlang balancieren, einem Lichtschein folgen oder starrsinnig versuchen, ihren Weg allein aus einem Gewirr von Stuhlbeinen zu finden.

f18 haben sich darauf spezialisiert, die (Alb-)Träume von Menschen mit Hilfe von Maschinen wahr werden zu lassen. Für den australischen Körperkünstler Stelarc haben Stefan Doepner und Jan Cummerow ein Vehikel gebaut, auf dem er sich wie eine Spinne auf sechs Beinen fortbewegen kann.

„Für das menschliche Gehirn ist es eine ähnliche Herausforderung, sechs Beine zu koordinieren, wie eine Beethoven-Sonate zu spielen“, sagt Cummerow. f18 haben Stelarc überzeugt, dem „Exoskeleton“ stattdessen lieber ein paar feste Bewegungsabläufe einzuprogrammieren, die er mit Bewegungen seiner Arme in Gang setzt. Am 9. Februar wird Stelarc seine Körper-Objekte auf der Phaenomenale vorstellen.

Die Roboter von f18 haben keine Berührungsängste mit Menschen – und umgekehrt auch nicht, versichern die Künstler. Für die Installation „ikit“ haben sie rundliche gelbe Maschinen darauf abgerichtet, bewegliche Ziele im Park zu verfolgen. Die Menschen, berichtet Jan Cummerow, drängten sich geradezu, die Aufmerksamkeit der Roboter auf sich zu ziehen. Kinder ahmten das klatschende Geräusch der Maschinen nach und versuchten auf diese Weise, mit ihnen zu kommunizieren.

Robotlab haben sich mit Gehirnforschern, Therapeuten und Anthroposophen ausgetauscht, um ihre Roboter verstehen zu lernen. Eine Therapeutin beschrieb Analogien zu ihren behinderten Patienten, die ebenfalls „Experten“ auf einem Gebiet und dafür komplett ignorant auf anderen Gebieten seien. Über den zeichnenden Roboter verrät Matthias Gommel Erschreckendes: „Wir haben die Bildauflösung bewusst niedrig eingestellt, um nicht mit dem Menschen zu konkurrieren.“ Würde man ihm Pinsel und Ölfarbe in den Greifer drücken, sei das Ergebnis beängstigend perfekt – und der Pinsel sorge auch noch für einen unscharfen, pseudo-individuellen Strich.

Neulich war der Roboter-Künstler für das Event eines Autobauers in die Werkshalle eingeladen. Da stand er zwischen seinesgleichen in der Produktionsstraße, unter lauter Arbeitern, die immer den gleichen Handgriff verrichten, und zeichnete. Ein Bohemien, der sich von seinesgleichen entfremdet hat.

Weitere Themen-Wochenenden der Phaenomenale: 26.-28. Januar: Privatmaschinen, 9.-11. Februar: Cyborgs