: Oh, wie schön ist Afrika!
Die heimischen Kulissen für Kitschspielfilme sind leider abgefrühstückt. Aber deutsche Produktionsfirmen sind zum Glück kreativ und haben längst eine aufregendere Spielstätte für den neuen Heimatfilm gefunden: Afrika
VON MARTIN REICHERT
Längst ist der Kilimandscharo wieder Deutschlands größte Erhebung. Denn der neue deutsche Heimatfilm spielt nicht mehr in den bayerischen Bergen oder in der Lüneburger Heide, sondern in der Savanne Namibias, den Weiten Südafrikas oder eben zu Füßen jenes Bergmassivs, das zwischen 1885 und 1918 Teil des deutschen Kolonialreiches war. Afrika ist die so preiswerte und pitoreske Kulisse, in der ARD sowie ZDF deutsche Sehnsuchtslandschaften errichten.
Die mit Abstand anspruchsvollste dieser Landschaften, in denen deutsche Frauen mittleren Alters ihr Glück suchen und „noch mal von vorne anfangen“, wurde in dem gut 10 Millionen Euro schweren Ausstattungs- und Kostümfilm „Afrika, mon Amour“ (ZDF) geschaffen. Iris Berben spielt die ihr auf den Leib geschneiderte Rolle der Katharina Strahlberg in „Deutsch-Ostafrika“ – eine in der hierzulande fast schon vergessenen Kolonialzeit spielende deutsche Antwort auf Tania Blixen, die in ungefähr folgender Fragestellung nachgeht: „Was wäre, wenn Effi Briest einfach nach Afrika ausgewandert wäre, statt sich von den Konventionen der wilhelminischen Gesellschaft zermahlen zu lassen?“ Antwort: Sie wäre zunächst auf der Farm eines schwulen Paares untergekommen, um sich dann nach vielen Prüfungen, Erschütterungen, und unzähligen Kostümwechseln in einen Schotten zu verlieben.
Sich mit einem Kilt tragenden Schotten einzulassen, ist im Rahmen deutscher Afrika-Heimatfilme schon das Exotischste, denn vor allem auch in amourösen Fragen bleiben die Deutschen in Afrika unter sich – von weißen Massai keine Spur, geschnakselt wird nur untereinander. Afrikaner bilden neben wilden Tieren und atemberaubenden Landschaften die Kulisse: Statisten.
In „Folge Deinem Herzen“ (ARD) folgte das notorische „Vollweib“ Christine Neubauer, erfunden eigentlich vom ZDF, diesmal jedoch im Auftrag der ARD-Degeto unterwegs, ihrer Jugendliebe Max nach Namibia, wo der Witwer mit seinen beiden Kindern lebt und das Buschkrankenhaus Guguletho leitet. Die Neubauerin lässt Porsche, Single-Loft und hochdotieren Job bei der bösen Pharmaindustrie hinter sich, heiratet und bucht einen Flug nach Afrika. Doch die Gründung einer glücklichen Trapp-Familie vor „berauschender Naturkulisse“ kommt nicht zustande: Der gute Max („Die Zeit des Kapitalismus ist vorbei“) wurde von einem dieser chaotischen, hilfebedürftigen Afrikaner in betrunkenem Zustand überfahren.
Da kann der nette Roberto-Blanco-Koch („Anfangs war es für die Deutschen nicht vorstellbar, Schlangenfleisch zu essen. Kennen Sie Gugelhupf?“) noch so viel herumkaspern: Die Neubauerin ist erst mal fertig, und die schwarze Vodoo-Frau, die sich um die Kinder kümmert, ist auch keine Hilfe. Vorerst, denn nach Begegnungen mit Skorpionen, Sandstürmen und einer Fata Morgana findet die Protagonistin – dank spiritueller Energiezufuhr aus Afrika – zu sich selbst zurück und besinnt sich auf ihre Arzt-Ausbildung. Ein deutscher Heimatfilm als Antwort auf die von metaphysischer Obdachlosigkeit und Erwerbslogik gezeichneten, bundesrepublikanischen Fernsehzuschauer. Im Zentrum des Geschehens stehen Ärzte, deren Autorität von der Gesundheitsreform unangetastet blieb. Gut und Böse sind sauber voneinander getrennt, die Landschaft ist unberührt – nur die Trachten sind nicht bayerisch, sondern afrikanisch. Und sie verweisen vor allem auf spirituelle Integrität: „Folge Deinem Herzen“ meint in diesem Film vor allem, zu „sich selbst“ zurückzufinden. Auch zur Rolle als Mutter. Am Ende gelingt es der ehemaligen Geschäftsfrau, die Zuneigung der verwaisten Kinder zu gewinnen – ihren „inneren Dämon“ hat sie bezwungen.
Kinder, Tiere, Liebe
Mit ganz ähnlichen Zutaten wurde „Mein Traum von Afrika“ (ARD-Degeto) verwirklicht, dessen Sendetermin aufgrund des Berben-Dreiteilers im ZDF auf den 6. Januar vorgezogen worden war: Kinder, Tiere, Deutsche, Spiritualität, Liebe. Luftaufnahmen – geflogen wird immer, mindestens einmal. Auch Jutta Speidel bekommt die Möglichkeit, „noch mal von vorn anzufangen“, nachdem sie in Deutschland von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wurde und ihr Job als Krankenschwester einfach wegrationalisiert wurde. Sie kehrt nach Südafrika zurück, wo sie geboren wurde, und trifft ihre Jugendfreundin Abeba (Ärztin!) sowie ihre Jugendliebe John wieder, der ein Kinderheim leitet.
Man ahnt, dass die Protagonistin hier „gebraucht wird“ und „etwas wirkliches Sinnvolles“ tun könnte – die Sinnfrage steht in diesen Heimatfilmen stark im Vordergrund, was wohl nicht zuletzt mit der mentalen Verfassung ihrer Macher zu tun hat. Die mittelalte Krankenschwester schlägt sich nicht schlecht, beschult die armen kleinen Waisenkinder und macht sich fast ohne Wasser auf die Suche nach der verschwundenen „kleinen Tarisai“, die von ihrem bösen, schwarzen Vater verkauft wurde. Obwohl sie zu doof ist, den Vierradantrieb des Land Rovers (zwingender Ausstattungsgegenstand!) zu aktivieren, findet sie das Mädchen, weil sie ihrem Gefühl beziehungsweise der Botschaft ihrer Träume folgt. In Afrika hat sie zu ihrem Menschsein, ihrer Spiritualität, ihren Instinkten zurückgefunden. Die Landschaften Afrikas sind wahrhaft göttlich, in der Tradition des romantischen deutschen Pantheismus: Gott ist in den Dingen, in der Natur, der Mensch geht darin auf. Auch wenn Speidels Lover dank GPS fast genauso schnell vor Ort ist.
Gibt es etwas, das deutsche Frauen in Deutschland nicht finden und in Afrika suchen, oder hängt die Besetzung mit der Zielgruppe zusammen? Die Berliner Filmproduzentin Regina Ziegler, die sowohl „Folge Deinem Herzen“ als auch „Mein Traum von Afrika“ für die Degeto produzierte, müsste es wissen. „Wenn Sie damit meinen, dass Frauen lieber Schauspielerinnen sehen, dann ist das richtig. Am Ende kommt es aber darauf an, ob für die Geschichte, die erzählt wird, eine Protagonistin interessanter ist als ein Mann. Seltener ist das ohnehin. Denken Sie doch an ‚Jenseits von Afrika‘ wo Meryl Streep trotz Robert Redford und Klaus Maria Brandauer die Szene beherrscht“, sagte sie auf Anfrage. Laut Ziegler seien es auch keineswegs die im Vergleich günstigen Produktionskosten, die deutsche Filmteams en masse nach Afrika verschlagen: „Die Produktionskosten in Südafrika haben längst das europäische Niveau erreicht. Die Locations sind einfach interessanter, weniger verbraucht als anderswo in der Welt, speziell in Deutschland.“
Zumindest für Südafrika mag das mit den Produktionskosten stimmen, aber auf jeden Fall wahr ist: Die deutschen Heimat-Locations von Bayern bis Flensburg sind nicht nur durch Autobahnen und Zersiedelung verbraucht, sondern auch durch exzessiven filmischen Klischee- und Kitscheinsatz hoffnungslos verschlissen. Nun wird eben Afrika in Grund und Boden gedreht – die Inhalte bleiben, das schauspielerische Personal auch, nur die Kulissen werden gewechselt: gefühlter Kolonialismus.
Land-Rover, Panorama-Flug
„Das Traumhotel – Afrika“ (19. Januar, 20.15 Uhr, ARD), ebenfalls Degeto, aber nicht Ziegler, sondern Lisa-Film, arbeitet selbstverständlich auch mit Land Rover, Tieren, Kindern und Panorama-Flügen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht jedoch ein Luxus-Ressort-Hotel, dessen Obermanager (Christian Kohlund) hier seine erwachsene Tochter Leonie treffen möchte. Die hat jedoch Besseres zu tun: Zusammen mit internationalen Aktivisten versucht sie den Bau eines Golfplatzes zu verhindern, dem ein intaktes Zulu-Dorf weichen soll. Die durch Modernisierung bedrohte (Heimat-) Idylle soll mit allen Mitteln, auch des zivilen Widerstandes, gerettet werden. Wird sie am Ende auch, aber nicht durch die Renitenz der Tochter, sondern durch einen geschäftlichen Eingriff des Patriarchen, der dank seiner Tochter ein Einsehen hat („Du bist der Größte, Papa!“). Auf der Liebesebene tummeln sich weitere Reisende, klassische Protagonisten des Heimatfilms: Der traurige Witwer (!) Frank ist mit seinen drei Kindern angereist und verliebt sich in das Hotel-Kindermädchen, die eigentlich Nonne (!) werden will. Zumindest diese Trapp-Familie findet am Ende in Gänze zusammen – die 50er lassen schön grüßen. Sogar Tini Plate lässt ihren windigen Unternehmensberater links liegen und entscheidet sich nach einem Panorama-Flug (Doppeldecker) für Sigmar Solbach, der eine Farm in Afrika hat.
Die romantische Liebe, das schöne, gute Leben wird auf Afrika projiziert, deshalb ist Afrika überall im deutschen Fernsehen. Das tatsächliche Afrika, der vergessene Kontinent auf dem Hungersnöte, Aids und durchgeknallte Machthaber den Menschen das Leben schwer bis unmöglich machen, kommt später, in den Nachrichten.