Freispruch für Pinar Selek

TÜRKEI Gericht: Soziologin hat keine tödliche Bombe auf dem Istanbuler Basar gelegt. Verfahren wegen PKK-Mitgliedschaft weiter anhängig

AUS ISTANBUL JÜRGEN GOTTSCHLICH

Wieder gute Nachrichten von der türkischen Justiz. Nach der Freilassung des deutsch-türkischen Schriftstellers Dogan Akhanli im vergangenen Dezember wurde am Mittwoch auch die im deutschen Exil lebende türkische Soziologin Pinar Selek freigesprochen. Selek wird vorgeworfen, 1997 im Istanbuler Gewürzbasar eine Bombe gelegt und dabei sieben Menschen getötet zu haben. Sie war zweimal von diesem Vorwurf freigesprochen worden. Das oberste Berufungsgericht hatte diese Freisprüche aber kassiert und an das zuständige Schwurgericht zurückverwiesen. Gestern hat nun das 12. Schwurgericht in Istanbul die Auffassung des vorangegangenen Schwurgerichts bestätigt und Pinar Selek erneut freigesprochen.

Günter Wallraff, einer der zahlreichen internationalen Beobachter des Prozesses in Istanbul, sagte: „Das „gesamte Verfahren ist ein Skandal. Es gibt keine Beweise gegen Pinar Selek, außer einer Aussage, die unter Folter zustande gekommen war und längst zurückgezogen wurde. Tatsächlich gehören diejenigen auf die Anklagebank, die seit 13 Jahren versuchen, Pinar Selek zu einer Terroristin zu stempeln.“

Das Kuriose an dem Prozess ist, dass nicht einmal feststeht, ob es sich um ein Verbrechen handelt. Die Mehrzahl der Gutachter ist überzeugt, dass es sich bei der Explosion auf dem Gewürzmarkt nicht um eine Bombe gehandelt hat, sondern um einen Unfall. Dabei seien Gasflaschen in der Küche einer Pizzeria explodiert. Diese Auffassung machte sich auch das Schwurgericht zu eigen und sprach Selek erneut vom Vorwurf des siebenfachen Mordes frei.

Verhandlungen im Juni

Was bleibt, ist der Vorwurf der Mitgliedschaft in der kurdischen „Terror-Organisation“ PKK, über den im Juni weiter verhandelt werden soll. Der Grund, warum Pinar Selek seit 13 Jahren so hartnäckig von der türkischen Justiz verfolgt wird, ist denn auch in ihrem vermeintlichen Engagement für die kurdische PKK zu suchen. Die Soziologin, die sich als Autorin für die Kurden, aber auch andere Minderheiten einsetzt, war in den Augen der Staatsschutzjustiz in den 90er Jahren eine führende PKK-Aktivistin. Dafür soll sie büßen.

Nicht nur internationale Menschenrechtsorganisationen und EU-Parlamentarier sind überzeugt, dass hier eine politisch missliebige Menschenrechtsaktivistin verfolgt wird. Auch in der türkischen Öffentlichkeit gilt das Verfahren als eines der letzten Relikte einer politischen Staatsschutzjustiz, die langsam abgewickelt wird. So waren nicht nur alle großen Fernsehanstalten vertreten, sondern auch Prominente wie der Schriftsteller Yasar Kemal, die sich mit Selek solidarisch erklärten.