Das falsche Bild

Der bengalische Fotograf G.M.B. Akash fotografiert die Elenden seines Landes: Prostituierte, Kinder, Homosexuelle. Die Reichen interessiert das wenig, aber die Fotos aus einer Koranschule brachten Islamisten gegen ihn auf. Nun ist er Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte

von FRIEDERIKE GRÄFF

G.M.B. Akash sitzt auf dem Sofa einer Dachgeschosswohnung in Hamburg-Eimsbüttel, vor ihm eine Mappe mit Fotos und in der Vase auf dem Tisch ein Strauß gelber Rosen. Die Rosen sind das einzig Persönliche in der Wohnung, die vor allem eine Zuflucht ist. G.M.B. Akash und seine Frau haben Bangladesch verlassen, weil seine Fotos den Zorn islamischer Fundamentalisten erregt haben. Seit Anfang des Jahres sind sie Gast der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte.

Akash ist 30 Jahre alt, seit zehn Jahren arbeitet er als Fotograf in einem Land mit wenigen sehr Reichen, vielen unsäglich Armen und einem Mittelstand, der sich nicht zuständig fühlt für das Elend der anderen. Kein einfaches Land, wenn man sich auf soziale Themen spezialisiert und Bilder macht von Kinderarbeit, Prostitution oder Transsexuellen. Akash entstammt selbst einer Mittelschichtsfamilie, er hat Wirtschaft studiert, bevor er begann, zu fotografieren. „Ich habe eine besondere Zuneigung zu diesen Leuten“, sagt er. Was nicht bedeutet, dass er sich über die Macht seiner Bilder täuschte. „Ich werde die Kinderarbeit so nicht stoppen können. Dazu muss man die Lebensbedingungen der Eltern ändern.“

Zur Zeit sieht es nicht danach aus. „Unsere Politiker sind korrupt“, das wiederholen G.M.B. Akash und seine Frau Taijnur Jahan Trisha immer wieder. Politik sei nur ein „Geschäftsfeld“. Auf der Liste der Organisation „Transparency International“, die weltweit gegen Korruption ankämpft, erscheint das Land auf einem der hintersten Plätze. Ausländische Zeitungen interessieren sich kaum dafür, es sei denn, eine Überschwemmung verwüstet wieder einmal das Land oder der Unternehmer Yunos erhält den Friedensnobelpreis.

G.M.B. Akash hat seinen Horizont über die Landesgrenzen hinaus erweitert. Dabei hilft seine Agentur in Bangladesch, aber mehr noch der dritte Platz im „World Press Award“ für ein Bild von einem Jungen, der sich vor den Schlägen des Aufsehers wegduckt. Akash fotografierte die Szene in der Näherei durch eine geöffnete Tür. Anschließend sagte der Aufseher ihm, der Junge habe zu langsam gearbeitet. Nachdem das Bild erschienen war, kam Akash noch einmal bei dem Aufseher vorbei, zeigte ihm das Bild und sagte: „Wenn du ihn noch einmal schlägst, bringe ich dich ins Gefängnis.“ Vermutlich hätten ihn die Richter ausgelacht, aber der Aufseher glaubte ihm.

Der Preis für das Bild verhalf Akash zu einer Einladung nach Amsterdam, wo er europäische Fotografen kennen lernte, die ihm den Kontakt zu Magazinen wie GEO, Newsweek oder The Economist erleichterten. Für Geolino wollte er „eine positive“ Geschichte in einer Koranschule fotografieren. Akash ging vor wie immer: Er versuchte, erst einmal mit den Leuten vertraut zu werden, sprach mit den Lehrern, brachte den Kindern Schokolade mit. Manchmal lädt er Menschen, die er fotografieren möchte, vorher zu sich nach Hause ein. Wenn er Glück hat, wird er ein Teil des Ortes, kann ein- und ausgehen, ohne dass man ihn als Fremdkörper wahrnimmt.

In der Koranschule stieß er auf einen Jungen, der bereits zweimal nach Hause gelaufen, von seinen Eltern aber wieder zurückgebracht worden war. Für religiöse Schulen ist nur ein geringes Schulgeld zu entrichten und viele Leute glauben, dass sich ihre Kinder damit einen Platz im Himmel verdienen. In der Schule kettete man die Füße des Siebenjährigen aneinander, damit er nicht wieder wegliefe. Auf dem Bild von Akash sieht er direkt in die Kamera, ein wenig fragend, als wollte er wissen, ob die Tatsache, dass er fotografiert wird, seine Flucht nachträglich billigt oder nicht. Noch wahrscheinlicher ist, dass er sich fragt, ob von Akash Hilfe zu erwarten sei.

In diesem Fall brauchte Akash anschließend selbst Hilfe. Nachdem das Bild im nepalesischen Himal-Magazin veröffentlicht worden war, bedrohte man ihn am Telefon und blockierte seinen E-Mail-Account. Einmal kam eine Gruppe Männer zu seinem Haus. Die Islamisten sind in Bangladesch nicht Teil der Regierung, es sind kleine Splittergruppen, aber was hilft das schon, wenn sie einen bedrohen.

Akash erzählte die Geschichte einer Kollegin von GEO, die die Hamburger Stiftung informierte. Nun können er und seine Frau ein halbes Jahr, vielleicht sogar ein ganzes, in Hamburg bleiben. Akash möchte Kollegen treffen, sich über Fotos auszutauschen. Man kann ihn sich schlecht nicht arbeitend vorstellen, aber in Hamburg findet er nichts, was ihn zu einem Foto veranlassen würde. „Ich sehe nichts“, sagt er. „Höchstens Hunde. Alles ist sauber, gut und wohl organisiert.“ Er beeilt sich, hinzuzufügen, dass er dankbar sei für diesen Zufluchtsort. Aber er und seine Frau vermissen das Gedränge in den Straßen der Hauptstadt Dhaka, wo selbst die Zugdächer überfüllt sind mit Leuten, die kein Geld für die Fahrkarte haben. Sehr anschaulich beschreiben die beiden das Elend dort, die Gleichgültigkeit mit der die Leute auf das Unglück anderer reagieren. „Niemand würde einen Krankenwagen rufen, wenn man einen Fremden auf der Straße liegen sieht“, sagt Akash. „Die Krankenwagenfahrer fragen schon am Telefon danach, ob du ihnen Geld geben wirst.“

Trotzdem haben sie Sehnsucht. „Wenn ich zurückkomme“, sagt Akash, „werden mich die Fundamentalisten hoffentlich ein bisschen vergessen haben.“