american pie : Rockstars ohne Selbstbewusstsein
Die Quarterbacks, Bestverdiener der NFL, zeigen derzeit einträchtig Macken und Schwächen
Sie sind die Generäle in der Schlacht, die Denker zwischen Muskelbergen, sie sind die Superstars des amerikanischen Sports. Keine Position ist von solchen Mythen umrankt wie die des Quarterbacks. Jedes Football-Team mag aus einen halben Hundert spezialisierter Spitzenathleten bestehen, aber meistens ist der Ballverteiler der Offensivabteilung das Gesicht des Teams. Und zudem der Bestverdiener. Quarterbacks sind die Rockstars der National Football League.
Nun, da die Saison der NFL ihrem Höhepunkt zustrebt, scheinen die Quarterbacks der verbliebenen vier Teams allerdings von akutem Muffensausen befallen zu sein. Peyton Manning von den Indianapolis Colts, schon zweimal zum stärksten Spieler der Liga gewählt und auf dem besten Wege, alle veritablen Pass-Rekorde der NFL zu brechen, dilettiert wie ein Anfänger. Tom Brady wurde mit den New England Patriots bereits dreimal Super-Bowl-Gewinner und gilt als Wiederkunft von Joe Montana. Er schafft es momentan allerdings kaum, einem Mitspieler den Ball zuzuwerfen. Und dass Chicagos Quarterback Rex Grossman noch nicht die Bank wärmt, liegt einzig daran, dass auch sein Stellvertreter sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Allein Drew Brees von den New Orleans Saints macht einen soliden Eindruck, allerdings baut das Sensationsteam aus der „Katrina“-geschädigten Stadt auch auf ein starkes Laufspiel.
Vor allem die Unsicherheiten von Brady überraschen. Gilt der 29-Jährige, der nun in seiner Laufbahn von 13 Playoff-Spielen nur eines verloren hat, doch als abgeklärtester Vertreter seines Fachs. Dreimal warf er am Sonntag in San Diego einem gegnerischen Verteidiger den Ball in die Arme, sodass New England kurz vor Schluss zurücklag. Dass Brady in den letzten 5 Minuten plötzlich ganz der Alte war und die Patriots mit einem Touchdown und einem Fieldgoal doch noch zum 24:21-Erfolg führte, trägt zwar zur Legendenbildung bei, täuscht aber kaum darüber hinweg, dass der Sonnyboy momentan ungewohnte Schwächen offenbart.
Von Bradys Gegenspieler ist man solche Schwächen in den Playoffs mittlerweile gewohnt. Peyton Manning spielt in der regulären Saison zwar stets brillant, aber wenn es im K.o.-System um den Titel geht, verwirren den Intellektuellen unter den Quarterbacks die Verteidigungs-Formationen. Diese baldowern die gegnerischen Defensiv-Trainer oft nur für ihn aus. Auch gegen Baltimore kam kaum ein Pass beim Empfänger an, aber dank Kicker Adam Viniateri, seinen fünf Fieldgoals und einer überagenden Defensiv-Abteilung stand am Ende ein 15:6-Erfolg. Am kommenden Sonntag hat Manning in Boston gegen Brady und die Patriots nun eine neue Gelegenheit, mit seinen Colts endlich einmal die Super Bowl zu erreichen und so seinen Ruf loszuwerden, er könne die entscheidenden Spiele nicht gewinnen.
Im zweiten Halbfinale treffen die New Orleans Saints auf die Chicago Bears. Dass die Saints überhaupt so weit gekommen sind, ist die größte Überraschung der abgelaufenen NFL-Saison. Aber die Bears, zudem mit Heimvorsteil ausgestattet, wären zweifellos der Favorit, gäbe es nicht Rex Grossman. In Chicago wurde die Psyche des 26-Jährigen in den letzten Wochen ausführlich ausgebreitet. Zeitungen verglichen ihn mit Dr. Jekyll, und Bears-Fans fürchteten, Mr. Hyde könnte auf dem Platz stehen. Am Sonntag gegen Seattle gab Grossman sich vor allem Mühe, nicht unangenehm aufzufallen und das Spiel wenigstens nicht im Alleingang zu verlieren. Nach dem in der Verlängerung zustande gekommenen 27:24-Sieg war er denn auch sichtlich erleichtert: „Das Wichtigste ist, dass wir gewonnen haben. Wie, ist mir völlig egal.“ Das Selbstbewusstsein eines Rockstars scheint Grossman auf jeden Fall abhanden gekommen. THOMAS WINKLER