: Das Ende der Leiden
Sebastian Deisler hört auf. „Ich habe keine Freude mehr am Fußball“, erklärt der 27-jährige Spieler des FC Bayern. Verletzungen, Depressionen, Rückschläge – ein großes Talent nimmt traurig Abschied
VON JÜRGEN SCHMIEDER
Wer sich rechtzeitig von der gestrigen Pressekonferenz des FC Bayern verabschiedete, dem bot sich ein ungewöhnliches Bild: Sebastian Deisler schlich in Jeans und lässigem Sakko über das Trainingsgelände, als neben ihm ein schwarzes Auto hielt. Heraus sprang Hassan Salihamidzic, in schwarzem Anzug und weißem Hemd. Er lief lachend auf Deisler zu und umarmte ihn. Mehrere Sekunden lang.
Beide Spieler werden den FC Bayern verlassen. Doch könnten die Vorzeichen unterschiedlicher nicht sein. Der eine, Salihamidzic, macht den nächsten Schritt in seiner Laufbahn und wechselt zu Juventus Turin. Der andere dagegen hat beschlossen, seine Karriere zu beenden.
Dabei sah Sebastian Deislers Laufbahn zu Beginn so aus, als wäre sie einem Traumbuch für Fußballprofis entsprungen: Mit 18 Jahren gab er für Borussia Mönchengladbach sein Debüt in der Bundesliga, wenige Wochen zuvor war er mit der deutschen U-18-Auswahl Vize-Europameister geworden. Sein erstes Spiel in der Nationalmannschaft absolvierte er gegen Holland kurz nach seinem 20. Geburtstag. Er galt als eines der größten Talente im deutschen Fußball, als feste Größe in den Planungen von National-Coach Rudi Völler für die Weltmeisterschaft 2002. Danach sollte er zum FC Bayern wechseln und zusammen mit Michael Ballack das Mittelfeld organisieren.
So perfekt sich der Karrierebeginn Deislers liest, so verheerend sieht seine Krankenakte aus: zwei Kreuzbandrisse, mehrere Muskelfaserrisse, Leistenprobleme, Blutergüsse. Sechs Operationen musste er sich bisher unterziehen. Die WM 2002 verpasste er wegen eines Knorpelschadens im rechten Knie. Und am Sommermärchen vier Jahre später im eigenen Land konnte er wegen einer Knorpelabsprengung nicht teilnehmen. Kein Wunder, dass die zahlreichen Blessuren den Sportler langsam zermürbten.
„Ich habe keine Freude mehr am Fußball“, sagte Sebastian Deisler bei der kurzfristig anberaumtem Pressekonferenz. Dabei sprach er so leise, dass man sich fragte, ob die Mikrofone überhaupt eingeschaltet seien. Überhaupt wirkte der 27-Jährige nicht, als wäre der Entschluss eine Befreiung für ihn. „Natürlich fällt mir das nicht leicht, ich habe mein ganzes Leben Fußball gespielt. Aber die Entscheidung steht. Sie ist in mir gereift.“
Er habe einfach kein Vertrauen mehr in sein Knie, halbe Sachen würden weder ihm noch der Mannschaft des FC Bayern helfen: „Nach der letzten Verletzung habe ich versucht, mich heranzukämpfen, doch es macht keinen Sinn mehr.“ Auch die psychische Belastung sei natürlich ausschlaggebend gewesen: „Dass es nicht nur an den Verletzungen, sondern auch an anderen Dingen lag, liegt doch auf der Hand.“ Bereits 2003 und 2004 begab sich Sebastian Deisler wegen Depressionen in psychiatrische Behandlung.
Bayern-Manager Uli Hoeneß stand bei der Pressekonferenz neben seinem Schützling und wirkte noch angeschlagener als Deisler selbst. „Er wollte schon aus dem Trainingslager in Dubai abreisen, aber wir haben um ihn gekämpft und viele Gespräche geführt“, erklärt Hoeneß. Am Montagabend gab es ein letztes Treffen, bei dem Deisler den Manager von seinem endgültigen Entschluss informierte. „So etwas hat es in dieser Form noch nie gegeben“, sagte Hoeneß. „Das, was ich die letzten zehn Tage erlebt habe, hat mit der Arbeit eines Managers wenig zu tun. Ich bin fassungslos.“ Er habe lange überlegt, wie er mit dieser Situation umgehen solle: „Wir haben uns dann entschlossen, den Vertrag einfach ruhen zu lassen.“ Sollte sich Deisler entschließen, seine Karriere irgendwann doch fortsetzen zu wollen, wird der bis 2009 laufende Vertrag wieder aktiv.
Bei aller Trauer über das unerwartete Karriereende von Deisler muss sich Hoeneß flugs überlegen, wie der FC Bayern in Zukunft aussehen wird. Im Mittelfeld der Münchner wird sehr viel Platz frei: Deisler hört sofort auf, Mehmet Scholl nach der Saison. Hassan Salihamidzic wechselt nach Turin, dazu sind Ali Karimi (sofort) und Owen Hargreaves (im Sommer) auf dem Sprung. Wie kann diese Lücke gefüllt werden? Besser nicht mit Ersatzspielern, sondern mit wirklichen Verstärkungen. Einige Namen kursieren schon lange, andere kamen am Dienstag hinzu: Arjen Robben, Franck Ribery, Juan Roman Riquelme und Luca Toni werden mit den Münchnern in Verbindung gebracht. Uli Hoeneß schob die Spekulationen jedoch sofort beiseite. Er wolle sich weder zu Namen noch zu Zeitpunkten möglicher Transfers äußern.
Hoeneß und der Verein müssen die Entscheidung Deislers erst einmal verdauen – genau wie Deisler selbst. Er will mit Fußball nichts mehr zu tun haben. Will sich um seine Familie kümmern, durch die Welt reisen, vor allem aber viel Abstand gewinnen zu dem, was in den vergangenen Jahren mit ihm passierte. Derart verabschiedete er sich und ging hinaus, wo er Salihamidzic traf. Es passt zu den Zukunftsplanungen der beiden, dass der Bosnier nach der Umarmung ins Auto sprang und davonbrauste, Deisler dagegen langsam durch das Tor des Trainingsgeländes ging.