Der Terror der Effizienz

Heute läuft der Dokumentarfilm „Unser täglich Brot“ an. In unterkühlten Arrangements zeigt er das reibungslos funktionierende System industrieller Nahrungsmittelproduktion

VON STEFAN REINECKE

Eine Maschine fährt langsam durch ein gelbes Meer von Küken und sammelt die Tiere ein. In einer langen Einstellung zeigt die Kamera einen Mähdrescher, der wie ein seltsamer Gigant über riesige Felder zieht. Rinder werden, in exaktem Rhythmus, in ein Gatter geführt, betäubt, getötet und dann zerlegt. Endlos scheinen die aufgereihten Tomatenstauden in einem Gewächshaus, dessen Ende das Auge kaum erblickt.

Nikolas Geyrhalters Dokumentarfilm „Unser täglich Brot“ erzählt von der Agrarindustrie in Bildtableaus von strenger, ordentlicher Schönheit. Er zeigt, in unterkühlten visuellen Arrangements, ein reibungslos funktionierendes System. Der Schock, den er auslöst, ist subtil. Zwar fließt auch Blut – aber der Schrecken hat weniger mit Blutfontänen zu tun, die uns stets an die sorgsam verdrängte Verletzlichkeit unseres Körpers erinnern. Es ist die kalte Rationalität dieser Abläufe, die frösteln macht.

Geredet wird wenig. Kein Off-Kommentar nimmt uns an die Hand, hin und wieder kann man Arbeitern in ihrer Pause zuhören. „Unser täglich Brot“ klagt niemanden an.

Geyrhalter zeigt die Welt der Agarindustrie in menschenleeren, aufgeräumten Einsamkeitsbildern. Die hangargroßen Hallen, in denen Hühner oder Äpfel heranwachsen, ähneln den automatisierten Fabriken der Autoindustrie. Manchmal wird es fast leise. Die Maschinen surren. Man hört Geräusche der Tiere. Sie werden betäubt, bevor sie getötet und industriell verarbeitet werden. Alles geht seinen Gang.

Die Tiere wachsen immer schneller, sie werden immer effektiver getötet und leben immer kürzer. Paprika und Tomaten aus den Gewächshallen wachsen immer schneller und werden immer billiger. Das System ist effektiv. Und ein Skandal, natürlich.

Die Frage, wer schuld ist, liegt nahe, führt jedoch in die Irre. Der Profit spielt eine Rolle – ebenso wie auch die menschliche Erfindungsgabe, die dieses System stets verbessert. Immer mehr konsumieren immer billigere Nahrungsmittel – das ist Logik und Ziel dieses Systems, sein Traum und Albtraum. Und wenn schon jemand schuld an diesem Desaster ist, dann ist es der Traum vom Immer mehr.

Der Autor dieser Kette von Produktion und Konsum ist nicht erkennbar– denn der Schlachthausbesitzer, der Agrarökonom und der Chef von Nestlé halten diesen Kreislauf ebenso in Schwung wie jemand, der sich an der Tankstelle ein Wurstbrötchen kauft. Deshalb ist es klug, dass Geyrhalter keine Schuldigen vorführt.

Wir, die aufgeklärte Mittelschicht, schütteln über die Lügen der Lebensmittelwerbung den Kopf. Wir gehen mit unseren Kindern in den Streichelzoo, damit sie Tiere nicht nur aus dem Fernsehen kennen, und kaufen im Bioladen ein. Das ist richtig, aber auch keine Lösung.

Bio ist richtig, aber keine Lösung

Unsere Fähigkeit, die alltäglichen Produktionsabläufe in der Agrarindustrie zu übersehen, hat etwas Marmornes. Nur manchmal, wenn Fleischskandale bekannt werden, bekommt unser Schutzschild einen Haarriss. Diese Verdrängung reicht tief, bis an die Wurzeln der Moderne, deren Annehmlichkeiten und Freiheiten wir schätzen. Mit Öko-Lifestyle oder ein bisschen gutem Willen kann man sie nicht kurieren.

Unser betäubtes Verhältnis zu Tieren scheint ein moralischer Defekt zu sein – aber das täuscht. Es geht nicht um einen kollektiven Mangel an Mitgefühl – historisch gesehen war sogar eher das Gegenteil der Fall. Als die ersten großen Schlachthäuser gebaut wurden, begann das empfindsame Bürgertum, sich über Tierquälerei zu erregen.

Nicht Mangel an Moral ist das Problem, sondern Mangel an Wahrnehmung. So wie das Fiasko der Agrarindustrie nicht die Tierquälerei ist. Denn Quälen ist ein Akt, der einem Wesen angetan wird, das mehr ist als sein Nutzen. In der Agrarindustrie aber ist das Tier kein Wesen. Von der ersten bis zu letzten Sekunde seiner Existenz ist es eine Ware.

Wann hat das begonnen? Wahrscheinlich als die Schlachthäuser an die Stadtränder zogen, die Arbeitsteilung immer ausgeklügelter wurde und als die Pferde und Ochsen aus dem Alltag verschwanden. Damals wurde der Tod der Tiere, die wir essen, unsichtbar. Damals haben wir vergessen, dass wir ihnen ein Opfer abverlangen und dass wir ihnen daher schuldig sind, sie als Tiere anzuerkennen. Genau dies war kürzlich in einer Dokusoap zu sehen, die derzeit jeden Abend auf Arte läuft. Darin lernt die Berliner Gastronomin Sarah Wiener die französische Küche kennen. In einer Szene köpft sie ein Perlhuhn und sagt: „Ich habe es getötet, jetzt muss es gut schmecken.“ Ebendas ist verlorengegangen: das Bewusstsein, dass der Tod des Tieres etwas bedeutet.

Im Schlachthaus ist dieser Zusammenhang ausgelöscht. Der Landschaftsarchitekt Frederick Olmsted hat eine Fabrik in Cincinnati so beschrieben. „Wir traten in einen riesigen Raum und folgten einer Allee toter Schweine, die auf dem Rücken lagen, alle viere von sich gestreckt. Klatsch fällt das Schwein auf den Tisch, und dann zack, zack, zack, zack, zack, zack fallen die Beile. Geübte Griffe lassen alles, Schinken, Schultern, Rippen, Bauch und Filet, sauber geviertelt an ihre Stellen fliegen, wo Helfer jedes Stück ihrer Bestimmung zuführen – den Schinken nach Mexiko, die Lende nach Bordeaux. Fassungslos über das Tempo, zogen wir unsere Uhren und zählten 35 Sekunden von dem Augenblick, in dem ein Schwein den Tisch berührte bis zur Ankunft des nächsten.“

Mr. Olmsted schaut sich diesen Prozess mit einer fortschrittsfrohen Fasziniertheit an, die uns im Zeitalter von BSE und Gammelfleisch etwas befremdlich erscheint. Das ist nicht verwunderlich, denn diese Beobachtung stammt von 1850. Olmsted schildert keine Maschinenfabrik, sondern einen komplexen, von Menschen ausgeführten, hoch arbeitsteiligen Prozess. Das Schlachthaus, schreibt Sozialwissenschaftler Bernhard Kathan in seiner exzellenten Studie „Zum Fressen gern“, war kein Ergebnis der Fabrikgesellschaft. Im Gegenteil: Das Schlachthaus war eine Blaupause für die Fließbandfabrik der fordistischen Gesellschaft.

Das Schlachthaus ist eine Grundlage unserer modernen Zivilisation. Bis in die Moderne ist unsere Geschichte mit den Tieren verflochten. Auch deshalb hat unsere Neigung, die Verhältnisse in der Agrarindustrie wegzublenden, etwas Schwindelerregendes.