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Archiv-Artikel

WOLF BIERMANN WIRD BERLINER EHRENBÜRGER – UND DAS IST AUCH GUT SO Einer Krawallschachtel würdig

Als Berlin 2001 eine rot-rote Regierung bekam, hielt Wolf Biermann das für einen Skandal von welthistorischem Ausmaß. „Bankrotte sozialdemokratische Apparatschiks“ – damit war Klaus Wowereit gemeint – legen sich „in einem perversen Machtspiel mit totalitären Verwesern ins Koalitionsbett, also mit SED- und MfS-Kadern, die das kaum getrocknete Blut ihrer Opfer noch am Ärmel haben.“ Das zielte auf Gregor Gysi. So drastisch und metaphernschwer irrt nur Biermann. Denn Rot-Rot war genau die richtige Koalition für Berlin. Rot-Rot beförderte die Versöhnung der Stadt mit sich selbst und verwaltet seitdem tapfer den Bankrott, den vor allem die CDU hinterlassen hatte.

Nun wird Biermann Ehrenbürger von Berlin – und das völlig zu Recht. Denn Biermann hat zwar ein Ego, das größer ist als das Berliner Haushaltsloch – aber damals in der DDR war er ein Held. Er sagte, was die meisten sich nicht trauten, und verkörperte wie kein Zweiter den Bruch der Intellektuellen mit der DDR.

Ist also alles gut? Nein, meinen viele Kritiker. Denn unwürdig sei die Debatte über diese Ehrenbürgerschaft gewesen. Die Berliner SPD-Fraktion war erst strikt dagegen, dann – weil Bundespolitiker wie Thierse & Co dafür waren – plötzlich genau gegenteiliger Meinung. Wowereit war wohl gegen Biermann, weil er sowieso gegen alles ist, was ihm nicht selbst eingefallen ist. Und die Berliner CDU, von der die Idee stammt, habe das Ganze schändlich missbraucht, um Rot-Rot vorzuführen.

So kann man es sehen, wenn man die politischen Benimmregeln ganz doll ernst nimmt. Muss man aber nicht. Der desolaten Berliner CDU kann man diesen Coup durchaus gönnen – Erfolge sind für sie so selten wie gelungene Metaphern in Biermanns Politprosa. Und vor allem: Wäre denn eine still und einvernehmlich verliehene Ehrenbürgerschaft für die Krawallschachtel Biermann wirklich angemessen gewesen? Kaum. Dann lieber diese Debatte, die von Eitelkeiten, politischen Borniertheiten und Taktiken angetrieben wurde. Sie war laut, schräg und nicht immer geschmackssicher. Und passte zu Biermann. STEFAN REINECKE