: „Es fällt kein Nazi vom Himmel“
FAMILIE Uwe-Karsten Heye hat ein Buch über das vom Krieg verpfuschte Leben seiner Eltern geschrieben: „Schicksalsjahre“ (So., 20.15 Uhr, ZDF)
■ Der Mann: 1940 in Reichenberg (Sudetenland) geboren, flüchtete 1945 von Danzig nach Rostock und später in den Westen. Journalistische Ausbildung bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung. 1974–1979 Pressereferent und Redenschreiber bei Willy Brandt. 1990–2002 Sprecher der Regierung Gerhard Schröder – erst in Hannover, ab 1998 in Bonn/Berlin. 2003–2005 deutscher Generalkonsul in New York. 2006–2010 Chefredakteur der SPD-Parteizeitung Vorwärts
■ Der Film: 2004 erschien „Vom Glück nur ein Schatten“. Die Lebensgeschichte seiner Mutter, der nur wenig Zeit mit ihrer großen Liebe, Heyes Vater, blieb, wurde nun von Teamworx fürs ZDF verfilmt (Regie: Miguel Alexandre; Buch: Thomas Kirchner). In den Hauptrollen: Maria Furtwängler, Pasquale Aleardi, Dorka Gryllus, Rosel Zech, Günther Maria Halmer, Nicole Marischka und Wanja Mues
INTERVIEW DAVID DENK
taz: Herr Heye, ich habe den Eindruck, dass Sie mit Ihrem Buch „Vom Glück nur ein Schatten“, aus dem nun der ZDF-Zweiteiler „Schicksalsjahre“ geworden ist, eine Mission verfolgen. Kann man das so sagen?
Uwe-Karsten Heye: Mission klingt mir zu pathetisch, aber ich habe ein Motiv für dieses Buch, das schon, ganz klar. Und dieses Motiv ergibt sich aus der Tatsache, dass ich einer Generation angehöre, die unmittelbar nach dem Krieg aufgewachsen ist und bei ihren ersten Reisen ins europäische Ausland – bei mir war das 1956, 57 mit den christlichen Pfadfindern – noch blanken Hass auf Deutschland erlebt hat. Ein Freund von mir ist sogar angespuckt worden. Daraufhin haben wir natürlich fast alle zu Hause unsere Eltern gefragt: Was ist hier eigentlich los? Was wissen wir nicht? Wir sind groß geworden mit einer schweigenden und verschweigenden Eltern- und Großelterngeneration. Meine Mutter war da anders. Sie hat sich selbst immer Vorwürfe gemacht, weggeguckt zu haben, während um sie herum die Nazis wüteten, und uns Kindern das auch vermittelt – mit der klaren Erwartung, dass wir es anders machen, uns nicht wegducken vor der eigenen Geschichte, sondern daraus lernen. Was hätte das für ein deutsches Jahrhundert werden können – und was ist es geworden! Dieses „Nie wieder!“ war auch mein Motiv für dieses Buch. In meiner Zeit in New York ist mir zudem klar geworden, wie dünn der Firnis des Vertrauens ist, das dieses Land genießt. Ganz, ganz dünn. Und wenn wir nicht aufpassen, dann kann er sehr schnell abblättern.
Um Ihre Botschaft zu verbreiten, scheint Ihnen jedes Mittel recht zu sein: sowohl eine Serie in Bild als auch ein TV-Rührstück mit Maria Furtwängler …
… die übrigens einen wunderbaren Job macht. Das haben ihr viele vorher nicht zugetraut – meine Schwester inklusive. Aber sie trägt das Rührstück, wie Sie es nennen. Empfinden Sie den Film wirklich als so rührselig? Ich finde „Schicksalsjahre“ eine partiell gute Adaption meines Buches.
Partiell?
Niemand darf erwarten, dass ein Buch im Film eins zu eins umgesetzt wird. Ich bin Profi genug, um zu akzeptieren, dass „Schicksalsjahre“ etwa wegen der dramaturgisch notwendigen Verdichtung des Stoffes nicht durchweg meinen Vorstellungen entspricht, aber insgesamt finde ich doch okay, was ich sehe. Zumal ich weiß, dass die Macht der Bilder viel größer ist als die von gedruckten Seiten. Den Film sehen auch Menschen, die wir mit unseren Projekten bei „Gesicht zeigen!“ nicht erreichen – je mehr, desto besser! Und das erscheint mir umso wichtiger, als ich eine – um es freundlich zu formulieren – gewisse Demokratiemüdigkeit in diesem Land beobachte, die mir Angst macht. Den politischen Parteien jedwede Kompetenz abzusprechen, halte ich für unendlich gefährlich. Das hat es schon mal gegeben, und das liegt nicht lange zurück.
Ist „Je mehr, desto besser“ auch Ihr Argument für die Serie in Bild?
Na ja, die Bild schreibt nicht jeden Tag über diese Zeit, diesen beispiellosen Zivilisationsbruch. Dieses Millionenforum muss man doch nutzen, wenn man Gelegenheit dazu hat. Außerdem: Wer hat mir denn das Angebot gemacht? Nicht die taz, die Süddeutsche auch nicht und auch sonst niemand. Das war die Bild-Zeitung. Darüber freue ich mich.
Ihr Buch beginnt mit einer Beschreibung, wie Sie 15 Jahre lang davor zurückgescheut sind, einen Brief Ihrer Mutter zu lesen. Wovor hatten Sie Angst?
Dass ich etwas aus unserer Familiengeschichte erfahre, was ich nicht schon wusste. Meine Mutter hat ja immer offen mit uns über diese Zeit gesprochen, sodass ich es merkwürdig fand, wie verstohlen sie mir eines Sommernachmittags diese Zettel über den Tisch geschoben hat. Ich musste an einen Jugendfreund denken, der bei der Lektüre einer historischen Abhandlung lernen musste, dass sein Großvater KZ-Wächter war. Sein geliebter Großvater! Das hat der nicht verwunden. Er hat sich das Leben genommen. Zum Glück blieben mir solche Neuigkeiten erspart.
„Viele Lebensentwürfe in dieser Zeit blieben ein unerfüllter Traum“, schreiben Sie – so auch der Lebensentwurf Ihrer Mutter, Ihrer Eltern. Gab es einen Punkt, an dem Sie das zum Weinen gebracht hat? Und das meine ich jetzt durchaus wörtlich.
Geweint habe ich nicht, aber natürlich ist das kein Vorgang, der irgendeine Art von Spaß macht, sondern eher Trauer und Nachdenklichkeit auslöst – zumal das Nachbeben dieses Kriegs noch andauert. Immer noch werden Bomben entschärft und immer noch ergeben sich Menschen einem völkischen Wahn. Dagegen muss man was tun. Es fällt kein Nazi vom Himmel, sondern Kinder werden von Erwachsenen dazu gemacht.
Ist Ihr Lebensentwurf im Gegensatz zu dem Ihrer Eltern ein gelebter Traum?
Ich hatte Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Und eine Vorstellung davon zu haben, wie ich leben will. Ich wollte wissen, wie Politik funktioniert, wollte das Prozesshafte kennen lernen. Also habe ich die Seiten gewechselt, wofür ich immer wieder angefeindet wurde. Das war mein Leben. Und wenn Sie sagen, dass es außergewöhnlich war, dann ist das okay.
Sie sind ein großer Verfechter des „Border-Crossings“, wie Sie es gern nennen. Warum?
Solche Seitenwechsel stärken die Unabhängigkeit des eigenen Urteils, weil man mehr weiß. Das ist mein Credo. Ich würde jedem Journalisten dringend empfehlen, sich nicht davor zu scheuen – nur weil die Kollegen gern mit dem Finger auf jemanden zeigen, der sich in die eine oder andere Richtung bewegt, anstatt stillzustehen. Ich wollte meinen Beitrag dazu leisten, dass die Regierung Schröder, Rot-Grün, und deren Politik, von der ich überzeugt war, erfolgreich ist, bei den Menschen ankommt.
Warum wird dieser Seitenwechsel in Deutschland so kritisch gesehen? Spinnen wir da?
Ich glaube, ja. Ich will die USA wahrlich nicht glorifizieren, aber deren Unbefangenheit und Neugierde auf neue Herausforderungen gehen uns manchmal ab. Und dieses Kästchendenken ist nicht gut, weil es falsche Vorstellungen oder Vorurteile zementiert, die Journalisten gegenüber Politikern und umgekehrt entwickeln. Das tut beiden Seiten nicht gut. Außerdem sehe ich darin letztlich eine antidemokratische Haltung, einen tiefsitzenden Parteienvorbehalt.
Was halten Sie von der Berufung des Ex-Regierungssprechers Ulrich Wilhelm zum Intendanten des Bayrischen Rundfunks?
Das war eine parteipolitische Entscheidung der CSU, die Wilhelm nicht guttun wird. Diesen direkten Wechsel in eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt halte ich nicht für selbstverständlich.
Auch für bedenklich?
Jedenfalls für sehr kritikwürdig.
Und der Seitenwechsel von Steffen Seibert geht für Sie okay?
Wenn er meint, dass Schwarz-Gelb eine Politik macht, die er gern verkauft, dann ist das seine Entscheidung. Ich finde es okay, seine journalistischen Qualitäten in den Dienst von Politikvermittlung zu stellen. Und wenn diese Konstellation abgewählt wird, kann Seibert ja auch wieder zum ZDF zurück. Aber nicht als Anchorman einer Nachrichtensendung, sondern erst mal ins Abklingbecken journalistischer Arbeit, als Auslandskorrespondent oder Reporter. Ich habe nach meinem Ausscheiden aus der Politik 2002 zunächst als freier Journalist gearbeitet.
Sind Sie knapp zehn Jahre später immer noch ein Frog, ein F riend o f G erhard S chröder?
Ja, wir haben immerhin zwölf Jahre eng zusammengearbeitet. Da wäre es doch merkwürdig, wenn wir keinen guten Kontakt hätten. Er kann mich anrufen, und ich kann ihn anrufen. Und von Zeit zu Zeit machen wir davon auch Gebrauch.
Neiden Sie ihm seine Aufsichtsratsposten?
Nein.
Eine komfortable Art, als Rentner Geld zu verdienen.
Machen Sie dazu ein Interview mit Gerhard Schröder.
Sie sind jetzt 70 und immer noch Vorsitzender von „Gesicht zeigen!“ und Buchautor. Füße hochlegen wird in diesem Leben nichts mehr?
Ich kann mir diese Haltung nicht vorstellen. Ich kann den Zorn über bestimmte Entwicklungen in unserer Gesellschaft einfach nicht hinnehmen, mich nicht loslösen von der Erfahrung der Zeit, in der ich groß geworden bin, dieser kollektiven Mauer des Schweigens. Und glaube auch, dass es kein Alter gibt, in dem man damit aufhören sollte.