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Archiv-Artikel

Afghanen bleiben ohne Schutz zurück

BERICHT Mit dem Abzug der westlichen Truppen ist die Zahl der zivilen Opfer in Afghanistan gestiegen

BERLIN taz | Seit 1998 baut Reinhard Erös in Afghanistan Schulen, vor allem in den umkämpften Ostgebieten. Für den Abzug der Isaf-Truppen wählt er ein drastisches Bild: „Ein chirurgischer Chefarzt rast auf der Autobahn mit seinem Porsche. Er verletzt einen anderen schwer. Er legt ihn auf seinen OP-Tisch, stoppt die Operation aber mangels fachlicher Kompetenz mit der Begründung: Jetzt muss es der Patient selbst schaffen.“

Ein Bericht der UN-Mission Unama in Afghanistan, den sie am Mittwoch vorlegte, untermauert jetzt seinen Befund, dass es um das Land kritisch steht. Lange war die Zahl der Afghanen, die gewaltsam ums Leben kamen, nicht mehr so hoch wie heute. Zwar kommen heute viel weniger Afghanen bei Luftangriffen der Nato unabsichtlich ums Leben. Insgesamt hat sich die Zahl der getöteten und verletzten Menschen jedoch deutlich erhöht – um knapp ein Viertel im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2013, im Vergleich zum ersten Halbjahr 2009 hat sie sich sogar verdoppelt. Die meisten werden dabei nicht von Regierungstruppen, sondern von Aufständischen getötet.

Als Hauptgrund für den Anstieg sieht der Bericht die zunehmenden Bodenkämpfe zwischen Antiregierungskämpfern wie den Taliban und afghanischen Regierungstruppen, vor allem in dicht bevölkerten Gebieten. Der Konflikt verlagert sich also in die Dörfer und Städte. Mehr als doppelt so viele Kinder wie im ersten Halbjahr 2013 wurden dabei getötet oder verletzt.

Der Bericht führt die hohe Zahl der zivilen Opfer auf den Abzug der Insaf-Truppen zurück. Ihre Präsenz habe die Aufständischen von Angriffen in den besiedelten Gebieten abgeschreckt. Doch in der zweiten Jahreshälfte 2013 wurden 86 Isaf-Stützpunkte geschlossen oder an die afghanischen Sicherheitskräfte übergeben. Bis Ende 2014 wollen die Nato und auch die Bundeswehr raus aus Afghanistan. Dann sollen die Afghanen selbst die Verantwortung übernehmen.

An manchen Orten hat sich der Abzug der Truppen aber auch positiv ausgewirkt, wie etwa auf Takhar. Das geht aus dem Bericht „Afghanistan’s Insurgency after the Transition hervor“, den die International Crisis Group im Mai in Brüssel vorstellte. Doch auch die International Crisis Group bemerkte einen Trend hin zu wachsender Unsicherheit. Ohne eine nachhaltige Unterstützung durch die afghanischen Sicherheitskräfte droht die Gewalt durch Aufständische zu eskalieren.

JULIA AMBERGER