piwik no script img

Archiv-Artikel

Mein Körper, die Gengranate

Was passiert, wenn man nicht mehr Eigentümer seines Körpers ist? „Next“, der neue Roman des Bestsellerautors Michael Crichton, handelt vom „Gold des 21. Jahrhunderts“ und der Jagd danach: beim Knochenklau und in Menschenversuchen

Vom „Buch des Lebens“, das die Gen-Forscher zu entziffern vorgeben, weiß verlässlich nur die Kunst zu berichten

VON ULRIKE BAUREITHEL

Es muss sich nicht immer um Embryonen handeln, wenn Bio-Patente Empörung auslösen. Vor einigen Jahren sorgte die US-Firma Myriad Genetics für Wirbel, als sie beim Europäischen Patentamt das Brustkrebs-Gen BRCA 1 patentieren ließ. Mit der großen Reichweite des Patents sicherte sich das Unternehmen Lizenzgebühren von allen, die das Gen diagnostisch oder therapeutisch nutzen wollten. Kritiker befürchteten, dass die Kommerzialisierung von Genen entgegen allen Beteuerungen gerade nicht der Wissenschaft und den betroffenen Patienten nützt, was sich im Streit um die Eisenspeicherkrankheit bestätigte, die sich mittels eines einzigen Gentests diagnostizieren lässt. Doch die Firma Bio-Rad, die das Patent auf das Gen hält, machte Lizenzgebühren geltend, verteuerte den Test und behinderte die medizinische Forschung, weil viele Labore aus Kostengründen keine eigenen Tests entwickeln.

Den gutgläubigen Patienten, die ihr Gewebe spenden und später auf kostenlose Tests oder Therapien hoffen, stehen viele Spender gegenüber, die oft gar keine Ahnung haben, was mit ihren Körpersubstanzen passiert. 2002 erregte etwa ein chinesischer Harvard-Wissenschaftler Aufsehen, der auf Basis von zweihundert Millionen Blutproben, die er unter Bauern aus der Provinz Anhui gesammelt hatte, die genetische Grundlage von Asthma erforschen wollte. Die Blutspender wurden mit einem kostenlosen Gesundheitscheck und ein paar Fertignudeln abgespeist. Alarmierender jedoch war die Tatsache, dass die Menschen überhaupt nicht darüber informiert worden waren, was mit ihrem Blut passiert.

Aus solchen Stoffen ließen sich ein Dutzend packende Thriller basteln, in denen ausnahmsweise nicht Sex and Crime, sondern Gene and Crime das Aroma bilden. Dem Erfolgsautor Michael Crichton, bekannt durch Bestseller wie „Jurassic Park“, „Coma“ oder „Beute“, war derlei serielle Genomanie aber offenbar zu mühsam. Statt den Stoff in säuberliche Claims aufzuteilen und das „Gold des 21. Jahrhunderts“ literarisch sorgfältig auszubeuten, hat er sich die Methode der Patentjäger zu eigen gemacht. So wie diese möglichst schnell möglichst viele Gene für sich reklamieren und abwarten, wie viel sich aus den Patenten kassieren lässt, hat Crichton in seinem neuen Roman mit dem sprechenden Titel „Next“ möglichst alles besetzt, was das gentechnologische Zeitalter an Kriminellem hergibt: Geweberaub und Knochenklau, illegale Tier- und Menschenversuche, erpresserische Gentests, fragwürdiger Eizellverkauf, Bioterrorismus – und, wo Wissenschaftler agieren, natürlich auch jede Form von Betrug und geistiger Eigentumsverletzung. Crichtons Totalschau der längst gegenwärtigen Zukunft lässt in einen verbrecherischen Abgrund blicken, in dem Bio-Piraten nach Körper„abfällen“ aller Art schürfen.

Als authentische Vorlage dient ihm der spektakuläre „Fall Moore“, der in die kalifornische Rechtsgeschichte eingegangen ist. John Moore hatte gegen die Universität von California, Los Angeles geklagt, weil sie 1984 ohne sein Wissen und Einverständnis Gewebeteile patentiert hatte, die im Rahmen einer Krebstherapie „abgefallen“ waren. Moore hatte seinen Krebs durch ein seltenes körpereigenes Protein besiegt, und die Wissenschaftler schätzten die Vermarktung der Zelllinien auf drei Milliarden Dollar. Das oberste Gericht entschied gegen Moore und sprach der Universität das Eigentumsrecht zu. Selbst wenn Moores Verwandte einmal auf eine Behandlung mit diesen Zellen angewiesen sein würden, hätten sie Lizenzgebühren an die Universität zu entrichten.

Die juristische und ethische Brisanz der Geschichte ist kaum zu überschätzen und Crichton hatte zweifellos ein gutes Gespür für die sensationelle Dimension dieser Entscheidung. Was passiert, wenn ein Mensch nicht mehr Eigentümer seines Körpers ist, wenn über seine DNA und seine Zellen fremdverfügt wird und risikobereiten Geschäftemachern in die Hände fällt? Frank Burnet, der sich in Crichtons Roman gegen die Enteignung wehrt und die Firma „BioGen“ verklagt, war von einem Wissenschaftler hinters Licht geführt worden: „Ich habe meinem Arzt vertraut“, erklärt er in der Verhandlung, die damit endet, dass sein Gewebe als „Abfallprodukt“ deklariert wird, die die Universität zu Recht an „BioGen“ verkauft hat.

„BioGen“ und ihr Geschäftsführer Rick Diehl indessen stehen unter Druck, weil ein sogenanntes „Reifegen“ auf seine Marktverwertung warten lässt und die Investition in Burnets Linien Diehls wirtschaftliche Möglichkeiten übersteigt. Hauptinvestor Jack Watson spekuliert auf die Übernahme der Firma, auf unerklärliche Weise werden Burnets Zelllinien kontaminiert beziehungsweise gestohlen. Diehl verpflichtet einen Kopfgeldjäger, der neue Gewebeproben von Burnets Tochter Alex, einer Rechtsanwältin, oder ihrem Sohn Jamie beschaffen soll. „Da die Zellen Ihr Eigentum sind“, zerstreut Diehls Anwalt alle Bedenken, „haben die Kinder in der Sache kein Mitspracherecht.“ Währenddessen geht im Labor von BioGen einiges schief, das „Reifegen“ gerät in falsche Hände, mit tödlichen Folgen, und ein Sicherheitsexperte entpuppt sich als Päderast. Diehl selbst steckt in einem komplizierten Scheidungsverfahren und will seine Frau gegen ihren Willen genetisch checken lassen, um das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zu bekommen. All dies hätte, in stimmige Handlungsstränge zerlegt und psychologisch grundiert, für einen rasanten Parcours durch den Patentdschungel genügt.

Leider begnügt sich Crichton nicht damit. Er stellt neben BioGen ein zweites Genlabor, dessen Leiter Henry Kendall in der Vergangenheit illegale Kreuzungsversuche mit Affen angestellt hat. In einer hundsnormalen Pathologie werden „auf Bestellung“ Leichenknochen verhökert. Eine Drogensüchtige erpresst einen Spermaspender, der ihr Vater sein soll, und eine 16-Jährige frisst Fruchtbarkeitspillen, um ihre Eier zu verkaufen. Zwischendurch geht es in den Dschungel nach Borneo, wo die versammelte Weltpresse auf einen sprechenden Orang-Utan wartet; und schließlich werden wir sprachlos Zeuge, wie ein Menschen-Schimpanse und ein Graupapagei, denen menschliche Gene eingeschleust wurden, zu sprechen beginnen. Spätestens hier kippt, was wohl als ernsthafte Auseinandersetzung mit Genopoly angelegt war, in die Komödie, an deren Ende die alte-neue, nun „transgene“ amerikanische Familie den Sieg davonträgt: „Wir sind seine Familie“, mahnt Lynn Kendall ihren Mann Henry, als er seinen Affensohn mit nach Hause bringt, „du kannst Dave nicht einfach in den Bioabfall werfen.“

In gewisser Hinsicht wird der burleske Eindruck noch unterstrichen von Crichtons positivistischer Dokumentationsmanier. Die in die 95 Kurzkapitel einmontierten, teilweise schrillen Medienberichte, die die Handlung absichern, kommentieren und überbieten, wirken willkürlich zusammengewürfelt, als habe ein Amateurhandwerker sie zufällig aus seinem Archivwust gezogen, um daraus seine chaotische Handlung zu zimmern. Zwar ist Crichtons Zweifel an den Segnungen genetischer Angebote offensichtlich und seine Skepsis im Hinblick auf Gen-Patentrechte macht er eigens in einem Nachwort deutlich. „Life is a book, you’ve got to read it, Life is a story and you’ve got to tell it“, lässt er am Ende den Papagei Gerard trällern. Vom „Buch des Lebens“, das die Gen-Freaks zu entziffern vorgeben, weiß verlässlich nur die Kunst zu berichten.

Dennoch gibt es auch Hinweise, dass Crichton dem Genprojekt nicht grundsätzlich ablehnend gegenübersteht. Seine Faszination spricht sich dort am lautesten aus, wo das, was er erzählt, am unwahrscheinlichsten ist: in den Geschichten über die transgenen Tiere. Ursprünglich hergestellt, um die Kommunikation von Menschen zu erforschen, übernehmen der Mensch-Affe Dave und Gerard die Heldenrollen in diesem Gaunerstück ums Bio-Gold. Aufgrund seiner tierischen Fähigkeiten – Schnelligkeit, Geschicklichkeit und Kraft – wird Dave zum Beschützer der verfolgten Kinder; der „kluge“ Gerard dagegen schaut dem Romanpersonal „aufs Maul“ und plaudert die voreinander verschwiegene Wahrheit aus. Von den zweifellos komödiantischen Effekten dieser „Sprachwunder“ einmal abgesehen, scheint hier die Kränkung des Mängelwesens Mensch auf und sein Wunsch nach Selbstoptimierung, die sich mit der Gentechnologie zu erfüllen scheint. Gefragt, ob hybride Lebensformen demnächst gezüchtet werden würden, lässt Crichton einen Dr. Shen antworten: „Ja, ich glaube, es wird irgendwann passieren.“

Crichtons Roman ist – bei aller Kritik an der Bio-Piraterie – auch ein Paradestück in sozialer Einübung. So wie der evangelikale Gen-Prediger Rob Bellarmino im Roman seine Gemeinde langsam daran gewöhnt, dass Embryonen zu Forschungszwecken verbraucht werden können, so bereitet Crichton sein Publikum darauf vor, das Undenkbare zu denken: mit Transgenen oder Klonen zu leben und ihnen, wenn sie erst einmal da sind, nicht nur das Recht auf Leben einzuräumen, sondern – wie die Kendalls – auch einen Ort in der humanen Gemeinschaft. Nicht das Experiment ist für Crichton der Skandal, sondern dass Faust sich am Ende als überfordert erweist und die von ihm erzeugten „Werke“ sich selbst überlässt.

Michael Crichton: „Next“. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 2007, 544 S., 22,95 €