: Gutmenschen, kauft besser!
Sie sind gebildet, wohlhabend und grüne Wähler – die Umwelt schonen sie trotzdem nicht. Wie ein guter Verbraucher Macht und Moral vereinen kann
von Bernhard Pötter
Im Juni 2005 hatte Greenpeace Großbritannien ein Problem. Die Umweltschützer hatten sich in London und anderen Städten an Vierradjeeps von Range Rover und Land Rover gekettet. Sie forderten, diese Sprit saufenden „Klimaverbrecher“ von den Straßen zu verbannen. Daraufhin liefen bei Greenpeace die Telefone heiß: Was denn gegen Offroad-Autos spreche, die für viele Unterstützer von Greenpeace zum Lebensstil gehören? Es sei nicht förderlich für die Umwelt, erklärten die Umweltschützer ihren Spendern, in einem Panzer mit dem vierfachen Verbrauch eines Familienwagens zum Biomarkt zu fahren. Ach so.
Das Beispiel zeigt: Der „korrekte Konsument“ ist vor allem korrekt in seiner Haltung – weniger in seinen Taten. Er und sie verfügen über genügend Bildung, Zeit und Geld, um sich Sorgen zu machen darüber, was ihr Lebensstil anrichtet. Ihren Lebensstil ändert das aber nicht. Es sind zum Beispiel in Deutschland ausgerechnet die Wähler der Grünen, die Förderer von Greenpeace und die LeserInnen der taz, die am meisten mit dem Flugzeug unterwegs sind – die postmaterielle, akademische obere Mittelschicht, die sehr genau über den Klimawandel Bescheid weiß. Mit schlechtem Gewissen steigen wir (die Zeit ist knapp zwischen Job, Familie und Freunden) in den Billigflieger zwischen Berlin und Paris – auch der Autor dieses Textes. Wir leben mit immer weniger Menschen in immer größeren Häusern. Wir buchen unseren Urlaub nicht etwa pauschal in Touristenzentren, sondern ziehen unsere Spuren durch die letzten unberührten Gegenden der Erde. Wir verfügen über genug finanzielle Rücklagen, um uns Gedanken darüber zu machen, wer mit unserem Geld wohl was anrichtet – lassen unser Geld dann aber im Zweifel doch von der Deutschen Bank verwalten. Manchmal schaffen wir es sogar, unser Auto abzuschaffen. Wir haben ja immer noch den Zweitwagen.
Ist der korrekte Konsument also nur ein Heuchler? Nein – es gibt viele Gründe, am Ladenregal seine innere Überzeugung zu verkaufen: Es fehlt an Informationen, am attraktiven Angebot oder an gerechten Preisen. Vor allem aber: Der gestresste Single, der mit „Multitasking“ sein Leben sortiert, die genervten Eltern, sie alle stehen jeden Tag vor dutzenden Konsumentscheidungen im Stress. Es ist nicht leicht, Packungsbeilagen aufmerksam zu studieren, wenn das Kind gerade einen Heulkrampf bekommt.
Es gibt also viele gute Ausreden, warum auch der korrekteste Konsument nicht immer das tut, was er eigentlich kann, will und soll. Irgendwann richten wir uns eben ein. Die Umstände, sie sind halt so.
Das allerdings ist Selbstbetrug. Denn eine der wichtigsten Erfahrungen der öko-angehauchten neuen Mitte ist diese: „Verhältnisse lassen sich ändern“ (siehe Eigenwerbung der taz). Gerade in Deutschland war das beständige Nagen an den scheinbar für alle Ewigkeit zementierten Verhältnissen in den letzten vierzig Jahren doch sehr erfolgreich. Im Westen entstand aus dem kleinbürgerlichen Mief der Adenauer-Ära eine ansehnliche Zivilgesellschaft. Im Osten wurde eine stalinistische Diktatur friedlich abserviert. Ein Land, das zu solchen Revolutionen fähig war, soll jetzt davor kapitulieren, den Stromanbieter zu wechseln?
Eine Diskrepanz ist besonders auffällig: Während der deutsche Citoyen Mahnwachen besucht, Bürgerinitiativen gründet und sein Recht bis zum höchsten Gericht durchficht, fühlt sich sein eineiiger Zwilling, der Konsument, seltsam hilflos. Dabei stehen dem Verbraucher ungleich mehr und schärfere Waffen zu Verfügung als dem Wahlbürger: Jeder Tag eine Abstimmung mit dem Warenkorb, jeden Monat ein Plebiszit im Wert von 80 Milliarden Euro. Doch die Erfolge der korrekten Konsumenten sind rar gesät: Wachsende Nischenmärkte für Bio-Essen, Öko-Energie und Sparlampen; die Versenkung der Ölplattform „Brent Spar“ verhindert; das ungerechte Preissystem der Bahn versenkt; Das war dann auch schon die Bilanz der „Politik mit dem Einkaufswagen“.
Der korrekte Konsument ist bisher ein Teil des Problems. Wird er nicht zu einem Teil der Lösung, dann geht gar nichts voran. Auf die anderen Typen des Verbrauchers kann man nämlich erst einmal noch viel weniger zählen. Die überbeschäftigten Wichtigtuer, die konservativen Besitzstandswahrer, die kleinbürgerlichen Volksmusikfreunde oder die perspektivlosen Verlierer haben weder Zeit noch Gelegenheit noch Bildung dafür. Sie kann man erreichen, wenn man die Koordinaten der Gesellschaft so verschiebt, dass selbst vormals als absurd betrachtete Verhaltensweisen plötzlich chic werden.
Das geht nicht? Aber ja doch. Wer hätte denn vor ein paar Jahren geahnt, dass inzwischen nicht nur Seeleute, sondern auch Banker stolz ihre Piercings und Tattoos vorzeigen?
Die Wirtschaft ist für den korrekten Konsum möglicherweise am einfachsten zu gewinnen. Denn der gesättigte Markt reagiert inzwischen sehr schnell – wie etwa das Beispiel der Fairtrade-Produkte bei Discountern zeigt. Was Profit verspricht, wird prompt geliefert – und sei die Ware auch das gute Gewissen. Nicht umsonst werben Bierbrauer, Schokoladenhersteller und Wasserverkäufer inzwischen damit, pro verkaufter Packung eine feste Summe für Regenwald/Trinkwasser/Schulbildung zu spenden.
Die Politik wiederum kann endlich im Konsumenten wieder den Staatsbürger entdecken. Der nämlich regt sich völlig zu Recht über Sozial- und Umweltdumping auf. Fragt man ihn, will er etwa nur noch Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft kaufen. „Nehmen wir ihn beim Wort“ lautete daher ein Vorschlag: Gibt es in Umfragen zu einem Thema eine breite Mehrheit, organisieren die Umweltverbände eine bindende Volksabstimmung, die das Thema entscheidet. Wer so den Konsumenten wieder mit dem Bürger rückkoppelt, stellt sich auch gegen den Wahn, die ganze Welt sei eine Ware. „Die neoliberale Demokratie“, heißt es in der Einleitung zu Noam Chomskys Buch „Profit over People“, „bringt keine Bürger, sondern Konsumenten hervor, keine Gemeinschaften, sondern Einkaufszentren. So entsteht schließlich eine atomisierte Gesellschaft gleichgültiger Individuen, die sich demoralisiert und ohnmächtig fühlen.“
Umgekehrt heißt das: Moral und Macht sind die Waffen des korrekten Konsums. Um sie anzuwenden, braucht es vor allem einen Kulturkampf. Denn in Deutschland gibt es immer weniger „Notwendigkeitskonsum“ und immer mehr „Wunschkonsum“, mit dem wir zeigen, wer wir sind oder sein wollen. Das eröffnet eine große Chance: Den Konsum über neue und andere Leitbilder zu verändern.
Was braucht es dazu? Vorbilder zum Beispiel. Gesichter. In Deutschland hat noch jeder Versandkatalog und jeder Billigflieger ein populäres Grinsgesicht herzuzeigen. Die „Miss Klimaschutz“ sucht man bisher vergebens. Wenn Bono für Afrika trommelt, warum erklärt nicht Herbert Grönemeyer seine nächsten Auftritte zur „Tour ohne Atomstrom“ oder gleich zur „Tour mit Windstrom“?
Wer sagt Sebastian Deisler, dass er zwar nicht mehr Fußball spielen kann, dass aber dafür eine Karriere als Gallionsfigur für Klimaschutz und korrekten Konsum auf ihn warten könnte? Wo sind die T- Shirts mit „Ich bin eine Biomasse“? Ein großes, positives Ziel anzustreben und Millionen von Menschen zu aktivieren, das schafft die US-„Apollo Alliance“ – und in Deutschland sollen die Good Vibrations nur für einen Fußballsommer ausreichen?
Der korrekte Konsument hat einen großen Vorteil: Seine Zeit kommt. Sie ist vielleicht schon da. „Geiz ist geil“ ist zwar noch die Realität, aber nicht mehr der Traum. Es knirscht und knackt im System. Klimawandel und Armutsflüchtlinge rücken uns auf die Pelle. Wir wissen, unsere Autos verbrauchen zu viel, unsere Bosse verdienen zu viel, unser Geld vagabundiert zu unkontrolliert durch die Welt. Das schlechte Gewissen sitzt den Konsumgesellschaften im Nacken.
Um es von dort ein wenig höher zu schieben und die Schaltzentrale zu übernehmen, hat der korrekte Konsument die besten Voraussetzungen. Er hat es gelernt, in der Minderheit zu sein. Er hat sich ein dickes Fell zugelegt, wenn man ihn „Gutmensch“ schimpft, ein Vorwurf, der immer schon auf den Schlechtmenschen zurückfiel. Er hat über Jahrzehnte die Erfahrung gemacht, politisch ohnmächtig zu sein und auf seine Chance zu warten. Und er ist reich genug, um zu wissen, dass er mit weniger besser leben würde.
Das ergibt eine enorme Consumer Power, die nicht mehr auf den olympischen Dreisprung „schneller, höher, weiter“ setzt. Und manchmal hat man den Eindruck, wir lebten schon in einer besseren Welt. Ausgerechnet der Volkswagen-Konzern lässt uns mit der Reklame für seinen Straßenpanzer „Touareg“ einen Blick darauf werfen, wie die Werbung für nachhaltigen Konsum aussehen könnte: Vor einer Wüstenlandschaft parkt das Offroad-Schlachtschiff völlig deplatziert, ohne einen Dreckspritzer. Davor steht der Fahrer in makellos weißer Hose, neben ihm hebt der Hund sein Bein am Wüstenstrauch. „Gebaut für die Extreme“ ist der Slogan – und er schreit uns förmlich an: Wenn du nur deinen Hund in der Stadt Gassi fahren willst, dann kauf dir gefälligst einen Lupo!
Von Bernhard Pötter ist zum Thema erschienen: „König Kunde ruiniert sein Land. Wie die Verbraucherpolitik am Verbraucher scheitert. Und was dagegen zu tun ist“. Oekom-Verlag, München 2006, 14,80 €