: Gepflegter Streit
AUS BERLIN CIGDEM AKYOL
In zentralen Fragen bleiben Deutschland und Polen auch nach dem Antrittsbesuch von Ministerpräsident Jarosław Kaczyński weiter uneins. So erklärte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern in Berlin, dass die Bundesregierung weiterhin keine Entschädigungsansprüche von deutschen Vertriebenen in Polen unterstütze. „Das wird auch so bleiben“, erklärte Merkel und beendete damit eine weitere Diskussion über Entschädigungsfragen.
Natürlich wisse sie, „welche Beunruhigung“ etwa die Tätigkeit der Preußischen Treuhand in Polen auslöse. Die Treuhand hatte in der Vergangenheit angekündigt, Besitzansprüche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einklagen zu wollen. Forderungen, die auf polnischer Seite für heftige Kritik gesorgt hatten. Zwar lobte Kaczyński „Merkels klare Worte“ zu diesem Thema, gab sich mit dieser Positionierung aber nicht zufrieden: Aus polnischer Sicht sei die Angelegenheit damit nicht abgeschlossen, erklärte der Premier (siehe unten).
Ein weiterer Streitpunkt, die 2005 zwischen dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vereinbarte Gasleitung, soll auf europäischer Ebene gelöst werden. Polen fühlt sich bei der Planung und dem Bau der Ostsee-Pipeline umgangen, denn die Leitung soll an Polen vorbei durch die Ostsee verlaufen. Russland könne den dann abgehängten Polen die Energiepreise diktieren oder den Gashahn zudrehen, befürchtet man in Warschau. Ein Thema, für welches Merkel sich 2007 unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft einsetzen will. Merkel will ein Konzept, das die Strom- und Gasversorgung aller EU-Mitgliedstaaten sichert. Ziel sei die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Energiemarktes.
Bei dem Treffen wurde lediglich ein geringer Teil der deutsch-polnischen Missverständnisse besprochen. Denn die Liste der Verstimmungen und Probleme, die seit Monaten die deutsch-polnische Beziehung belasten, sind lang. Das jüngste Ärgernis geschah vor zwei Wochen: Ein Schiff der polnischen Küstenwache schoss anscheinend ohne Grund in Richtung eines deutschen Ausflugsschiffes. Gegenseitige Schuldzuweisungen waren die Folge. Es war nur ein weiterer Eklat in dem ohnehin schon angespannten Verhältnis.
Bereits seit sechs Jahren gibt es einen Dauerstreit wegen eines geplanten Dokumentationszentrum zur Erinnerung an deutsche Opfer von Zwangsumsiedlung und Vertreibung. Die derzeitige polnische Regierung befürchtet, dass die Deutschen verwischen wollen, wer im Zweiten Weltkrieg „Henker war und wer Opfer“.
Als die taz in ihrer satirischen Serie „Schurken, die die Welt verändern wollen“ unter der Überschrift „Polens neue Kartoffel“ Kaczyński porträtierte, war dieser so gekränkt, dass er ein Treffen mit Merkel und dem französischen Präsidenten Jacques Chirac absagte.
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warf nun gestern in einem Rundfunkinterview der polnischen Regierung vor, „Zwiste geradezu organisiert zu haben“. Er habe den Eindruck, dass sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren der Ton auf polnischer Seite verändert habe. Dieser Ton sei die Ursache für die gespannten Beziehungen zu Deutschland, so Thierse.
Auch Gesine Schwan sieht die „Schuld an der verfahrenen politischen Situation“ bei der polnischen Regierung. Die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und Polen-Beauftragte der Bundesregierung setzt sich seit Jahren für deutsch-polnische Beziehungen ein. Sie zeigt sich optimistisch und bewertet den Besuch als einen „Schritt in die richtige Richtung“. „Auf gesellschaftlicher Ebene ist das Verhältnis ja nach wie vor sehr gut“, sagte Schwan zur taz.