Radeln für den Parteivorsitz

Landwirtschaftsminister Seehofer will Chef der CSU werden. Die Agrarausstellung Grüne Woche nutzt er zum Wahlkampf. Im Internet stimmen 73 Prozent für ihn

BERLIN taz ■ „Das ist ein super Foto für ihn“, stellt Agrar-Staatssekretär Peter Paziorek fest. Sein Chef, Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU), hat das Jackett ausgezogen und sich im weißen Hemd auf einen Heimtrainer gesetzt. Demonstrativ radelt er nun zwei Minuten, strahlt abwechselnd die Kinder neben ihm an und die Kameraleute vor ihm. Die Chefs der Deutschen Ernährungsindustrie auf der Agrarmesse Grüne Woche freut die Anwesenheit des Ministers – und Seehofer genießt die Imagepolitur.

Denn Werbung in eigener Sache, häufige Auftritte im Fernsehen und viele Interviews sind für den CSU-Politiker gerade jetzt ziemlich wichtig. Der Berliner Minister will Nachfolger von Edmund Stoiber als Vorsitzender der bayerischen Christsozialen werden. Aber er ist nicht alleine. Auch Erwin Huber, Wirtschaftsminister in Bayern, bewirbt sich – und hat zur Zeit bessere Chancen.

Seehofer muss deshalb öffentlich zeigen: Es gibt da jemanden in Berlin, mit dem zu rechnen ist. Wie sagte Seehofer gestern? „Es existiert kein Rechtsanspruch auf den Parteivorsitz.“ Damit meinte er seinen Konkurrenten.

Seehofer hat in diesen Tagen einen entscheidenden Vorteil. Als einziger der am Machtkampf Beteiligten präsentiert er sich als Sachpolitiker. Und das mit einem gewissen Recht. Auf der Grünen Woche hat er Dinge zu regeln, die auch für viele Fernsehzuschauer nachvollziehbar sind. Zum Beispiel verspricht Seehofer, in Verhandlungen mit dem russischen Landwirtschaftsminister dafür zu sorgen, dass deutsche Lebensmittel ungehindert exportiert werden können. Natürlich nutzt auch Seehofer die Sachpolitik als Folie für seine Selbstpräsentation, aber immerhin kann er demonstrieren, dass ein Quäntchen reale Welt existiert – und sich damit absetzen von den inhaltsfreien Auftritten der Münchner Parteipolitiker.

Auch aus einem zweiten Grund kann Seehofer hoffen. Er ist ein Politiker, der unter den Mitgliedern der CSU große Unterstützung genießt. Über sich selbst sagte er einmal, dass er „Loyalität in der Politik immer gedrittelt habe. Die Loyalität zur Bevölkerung ist die wichtigste.“ Danach komme die Verpflichtung gegenüber seiner „politischen Grundüberzeugung“, dann erst die gegenüber der Partei.

Als Fürsprecher der Audi-Arbeiter in seiner Heimat Ingolstadt stieg er auf, als Sozialpolitiker der Union wurde er bekannt, als Bundesgesundheitsminister mit Zügen eines Querulanten verscherzte er sich die Sympathien vieler Spitzenpolitiker der CSU. Gestern veranstaltete die Augsburger Allgemeine eine Internetwahl zwischen Erwin Huber und Horst Seehofer. Über 73 Prozent sprachen sich für den Bundesminister aus.

Vor diesem Hintergrund gewinnt es eine besondere Bedeutung, dass Seehofer auf der Grünen Woche mehrfach in die Kameras sprach: „Die CSU muss wieder Rückhalt in der Bevölkerung bekommen.“ Mit diesem Hinweis will der Kandidat die Entscheidung über den Parteivorsitz möglichst lange hinausschieben. Denn augenblicklich würde das Münchner Partei-Establishment eher Erwin Huber als neuen CSU-Chef benennen. Sollten die Gremien bereits am Montag entscheiden, wäre Seehofer vermutlich aus dem Rennen. Jeder weitere Tag der Diskussion, jeder Fernsehauftritt am Rande der Grünen Woche, jede Möglichkeit, Stimmung an der Basis der CSU zu machen, erhöhen dagegen Seehofers Chancen. HANNES KOCH