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Archiv-Artikel

Ein verkannter Baustoff von Bestand

LEHM I Auch wenn die Mischung von Sand, Schluff und Ton zu den ältesten und zugleich natürlichsten Baustoffen gehört, muss sich Lehm gegen hartnäckige Vorurteile zur Wehr setzen

Das ist Lehm

■ Ein Gemisch aus den verschiedenen Korngrößen Kies, Sand, Schluff und Ton.

■ Bindekräftige, kleinste Teilchen, sogenannte Tonminerale, sind im Ton enthalten. Sie bilden das Bindemittel zwischen den groben Bestandteilen.

■ Je höher der Tonanteil, desto höher ist die Plastizität des Lehms und desto geringer ist die Wasserempfindlichkeit.

■ Im Handel erwerbliche Lehme werden ungeformt und geformt, nass und trocken und in verschiedenen Arten wie Stampf-, Weller-, Stroh- und Leichtlehm angeboten.

■ Ausführliche Infos und gebaute Beispiele unter: www.dachverband-lehm.de .

VON DARIJANA HAHN

Sie finden sich nicht nur in sonnigen Gebieten wie dem Nahen Osten oder Südamerika. Auch im nasskalten Norddeutschland gibt es Wohnbauten aus Lehm, die den Witterungen über Jahrhunderte trotzen. Sie sind dabei der sichtbare Beweis dafür, dass Lehmbauten nicht, so wie Kritiker zu bedenken geben, dem feuchten Klima zum Opfer fallen – oder gar von ihm weggespült werden.

Die ältesten Lehmhäuser stehen in Deutschland im hessischen Weilburg an der Lahn, wo sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Fabrikbesitzer Wilhelm Jacob Wimpf leidenschaftlich für den Lehmbau eingesetzt hatte. Was er zunächst 1832 für seine Familie errichtete – ein fünfstöckiges Haus aus Stampflehm, das bis heute noch bewohnt ist – wollte er zur allgemeinen Bautradition werden lassen. Dafür warb er nicht nur durch zahlreiche Schreiben beim hessischen Fürsten Friedrich Wilhelm. Er verfasste auch das 1836 veröffentlichte Buch: „Der Pisé-Bau oder vollständige Anweisung äußerst wohlfeile, dauerhafte, warme und feuerfeste Wohnungen aus bloßer gestampfter Erde, Pisé-Bau genannt, zu erbauen“. Sowohl die Vorteile des Lehmbaus, die Wimpf dabei benennt, als auch die Vorurteile, die der Lehmpionier zu entkräften versuchte, sind bis heute aktuell geblieben.

Da ist der Preisaspekt, dass Lehm als Baustoff nicht nur günstig, sondern auch wohlfeil ist. Da ist das Argument, dass Lehm im Gegensatz zu Holz und Stein nur sehr wenig Beschaffungs- und Bearbeitungsenergie benötigt. Und: Da ist das Raumklima, das durch Lehm positiv beeinflusst werde, weil es die Temperatur und die Feuchtigkeit reguliert. Trotz seiner Bemühungen trugen Wimpfs Nachweise, dass Lehmbauten tatsächlich „dauerhaft“ und auch „elegant“ sein könnten, nicht die Früchte, die er sich erhofft hatte. Lehmbauten bleiben bis heute eher die Ausnahme. Ähnlich erging es fast hundert Jahre später Gustav von Bodelschwingh. Der Sohn des „Bethelpastors“ Friedrich von Bodelschwingh ließ durch seine 1907 gegründete „Heimstätte Dünne“ im westfälischen Dünne und Umgebung zwar über 200 Lehmhäuser errichten, scheiterte aber unter anderem an der Lobby der Ziegelindustrie, dem Konzept in ganz Deutschland zum Durchbruch zu verhelfen. Lehm wurde, wie in den Jahrhunderten zuvor, höchstens zum Ausfüllen der Gefache der Fachwerkhäuser benutzt.

Während Wimpf seine Anregungen von dem französischen Lehmexperten François Cointeraux gezogen hatte, wurde Bodelschwingh während seiner Missionszeiten in Afrika von den dortigen Lehmbauten inspiriert. In Afrika, das mit der 1907 gebauten Moschee von Djenné in Mali das größte sakrale Lehmgebäude der Welt besitzt, ist das Bauen mit Lehm nicht nur Jahrtausende alt, sondern weit verbreitet. So wie in großen Teilen des Nahen Ostens, Südamerikas und Vorderasiens. Der offensichtliche Vorteil der Lehmbauten, dass sie den Jahrhunderten trotzen, wird ihnen jedoch zum Verhängnis – insofern, als dass sie für archaisch und einfach gehalten werden. Als etwa die Siedler aus Amerikas Osten in den Westen zogen und dort nicht nur Indianer in Lehmbauten vorfanden, bezeichneten sie diese abfällig als „mud huts nuts“ – „Lehmbudenspinner“.

Dass es aber nicht nur „Spinner“ und „Ökos“ sind, die sich für Lehmbau erwärmen können, zeigt das ständig wachsende Interesse am Lehmbau seit den 1980er-Jahren, als auf Grund eines größeren ökologischen Bewusstseins eine neue Lust am Lehm erwachte.