: Weit entfernt von der Bronx
RÜTLI-SCHULE MIT ABITUR
Was ist über die Rütli-Schule im Norden Neuköllns nicht alles geschrieben worden. Eine „Terror-Schule“ sei das, hieß es, nachdem im März 2006 der „Brandbrief“ verzweifelter Lehrer öffentlich wurde, eine „Hass-Schule“, und eine ehemalige Lehrerin ätzte im Tagesspiegel, sie fürchte, dort würden „Kriminelle und Terroristen“ großgezogen. Das passte in das Bild von Neukölln als härtestem Pflaster der Republik. Ein Jahr zuvor war die Thomas-Morus-Oberschule in den Fokus geraten, weil drei Oberschüler dort den Mord an der 23-jährigen Hatun Sürücü durch ihren Bruder gutgeheißen hatten. Und kurz nach dem Rütli-Eklat brachte Detlev Buck seinen Neukölln-Film „Knallhart“ heraus, der alle Klischees über den Bezirk zu einer beklemmenden Angstfantasie verdichtete.
Nachdem die Rütli-Schule von Grund auf umgekrempelt, mit anderen fusioniert und in eine Gemeinschaftsschule umgewandelt wurde, haben dort diese Woche die ersten Abiturienten die neu eingerichtete Oberstufe verlassen. Und wer heute in der Gegend um den Reuterkiez herumstreift, kann sich nur wundern, dass die Schule vor acht Jahren solche Schlagzeilen machte. Es herrscht eine friedliche Ruhe, die Cafés sind mit jungen Studenten bevölkert, und vor der Schule lungert zwar noch ein gelangweilter Wachschutz herum, aber der soll nur dafür sorgen, dass keine schulfremden Personen auf das Gelände eindringen.
Von Verhältnissen wie einst in der Bronx, mit der der Norden Neuköllns auf Graffiti verglichen wird, ist das weit entfernt.
Man kann darüber streiten, ob die Gegend überhaupt noch ein sozialer Brennpunkt ist. Armut und Arbeitslosigkeit sind hier zwar immer noch überdurchschnittlich verbreitet, aber die Gentrifizierung hinterlässt ihre Spuren, und der Trend zur sozialen Entmischung hat sich dadurch umgedreht. Nachts treffen auf der Straße und in den Spätis die Ausgehfreudigen auf die Abgehängten, und auf dem „Campus Rütli“ als pädagogischem Modellprojekt melden inzwischen auch die jungen Akademikereltern ihre Kinder an.
Die Aufmerksamkeit und die Zuwendungen aber, die die Rütli-Schule in den letzten Jahren erhalten hat, sind auch allen anderen Schulen zu wünschen, die unauffällig dort ihre Arbeit verrichten, wohin sich die sozialen Brennpunkte der Stadt verlagert haben. DANIEL BAX