„Ich war ein wandelnder Giftschrank“

Er stemmte Gewichte und schluckte Pillen, jahrelang. Erst als er Blut spuckte, ging Jörg Börjesson zum Arzt – und kämpft seitdem gegen Doping im Freizeitsport

INTERVIEW CHRISTIAN PANSTER
UND SOPHIE HAARHAUS

taz: Herr Börjesson, Sie haben sich jahrelang mit Anabolika voll gepumpt – als Freizeitsportler. Wie haben Sie Ihre Sucht überwunden?

Jörg Börjesson: Mein Körper hat irgendwann verrückt gespielt. Angefangen hat es mit Magenbeschwerden. Ich wollte aber nicht wahrhaben, dass das mit den kleinen Pillen zusammenhängen könnte, die ich zu dieser Zeit schon über Jahre geschluckt hatte. Ich war doch topfit. Als mir dann irgendwann beim Beintraining Blut aus der Nase schoss, hatte ich genug.

Ist solch massiver Anabolikakonsum eine Ausnahme im Freizeitsport oder doch eher die Regel?

Im Grunde genommen ist es dort viel schlimmer. Es wird immer leichter, an Anabolika und anderes Teufelszeug zu kommen. Außerdem werden Freizeitdoper nicht von Ärzten betreut wie die Profisportler. Das macht Doping gefährlicher, als es ohnehin schon ist.

In welchen Sportarten wird besonders häufig gedopt?

Beim Bodybuilding. Es ist traurig, was aus dieser eigentlich gesundheitsfördernden Sportart geworden ist. Aber auch Hobby-Läufer werfen sich die scheinbar harmlosen Wunderpillen ein. Sie wollen beim nächsten Städtemarathon glänzen – und beim Nachbarn und den Kollegen protzen.

Wie kommt man an solche Dopingmittel heran?

Einfach mal im Internet surfen. Da findet sich einiges. Die Dealer suchen aber auch gezielt Fitnessstudios heim. Anonyme Muckibuden, die 24 Stunden geöffnet haben, sind besonders beliebt. Dort ist die Betreuung durch das Personal nicht gut. Die Dealer kommen leicht an potenzielle Kunden heran …

und verkaufen ihnen ganz nebenbei Anabolika?

So in etwa, ja. Die Taktik ist meistens gleich: Sie kommen zu zweit. Einer hat die dicken Oberarme zum Vorzeigen, der andere kann sich verbal ausdrücken. Er ist der Verkäufer und erzählt, dass die Mittelchen ganz legal und ungefährlich seien. Jugendliche Sportler sind besonders leicht zu bequatschen.

Sind das ganz gewöhnliche Drogendealer?

Nur zum Teil. Das Geschäft ist in den vergangenen Jahren lukrativer geworden, weil im Breitensport einfach mehr gedopt wird. Die Dealer kommen aus den unterschiedlichsten Milieus. Vom Autoschieber über den Auftragsmörder bis zum normalen Drogendealer ist alles vertreten.

Und wir sollen Ihnen glauben, dass der Freizeitsportler so leicht an Dopingmittel kommt?

Wir gehen häufig zum Test in Fitnessstudios und fragen in der Umkleidekabine, wer sich mit Doping auskennt. Es dauert nicht lange, und der Kontakt zu den richtigen Personen ist hergestellt. Mehr ist es nicht! Es ist viel leichter, als Sie denken.

Wissen die Fitnessstudiobetreiber davon?

Bei den meisten der etwa 6.500 Studios in Deutschland hat der Chef keine Ahnung, was abgeht. Es gibt aber auch schwarze Schafe. Ich tippe, dass die Betreiber von mehreren hundert Studios die Mitglieder beim Doping unterstützen. Der Deutsche Sportstudioverband als Dachverband sieht einfach weg!

Warum wird im Breitensport so eifrig gedopt? Es geht dort doch nicht um Goldmedaillen, hohe Preisgelder oder Werbeverträge.

Aus persönlichem Ehrgeiz und aus Bequemlichkeit. Man denkt, einfach ein paar Pillen einwerfen und mit ein bisschen Training sieht man bald aus wie die Mutanten auf den Hochglanzmagazinen. Irgendwann wird es zur Sucht. Viele nehmen am normalen Leben nicht mehr teil, definieren sich ausschließlich über ihren Körper. Das Schlimmste, was man einem Jugendlichen aus einer Anabolika-Clique sagen kann, ist, „Mensch, hast du abgenommen“. Wer den dicksten Arm hat, hat das meiste zu sagen. Normalos werden ausgelacht. Viele haben keinen Job. Sie holen sich die Bestätigung über den Körper.

Indem sie diesen Körper mit gefährlichen Präparaten in ein Wrack verwandeln?

Ja, da gibt es erschreckende Beispiele. Ein Zwölfjähriger fragte mich neulich, ob ich Körperstellen wüsste, wo er sich noch reinspritzen könnte. Sein Hintern sei entzündet und hätte komische Knubbeln. Und er fragte, ob es schlimm sei, die Spritzen im Freundeskreis zu tauschen. Da war ich sprachlos. Es gibt Typen, die spritzen sich synthetisches Öl in die Brust oder den Oberarm. Die Muskeln fühlen sich wegen der allergischen Reaktion für einige Zeit an wie Stahlplatten. Jugendliche, die Wachstumshormone nehmen, bekommen mit der Zeit Potenzprobleme und werden zeugungsunfähig. Viele leiden unter Depressionen, haben keine Lust mehr zu leben.

Solche Beispiele müssten doch abschrecken.

Genau deshalb erzähle ich sie in Schulen. Das Schlimme ist, dass die Nebenwirkungen völlig unterschätzt werden. So nach dem Motto: „Wird schon irgendwie gut gehen.“ Auf vielen Mitteln steht der Name bekannter Pharmaunternehmen. Das gibt der Sache einen legalen Anstrich.

Wer kann sich das denn finanziell leisten? Die Pillen und Spritzen sind bestimmt nicht ganz billig.

Dealer locken meist mit einer günstigen Probepackung. Ist man erst mal dabei, gehen schnell mehrere hundert Euro im Monat für verschiedene Präparate drauf. Sehr lukrativ für die Dealer sind so genannte Mehrfachpräparate: Wachstumshormone, die die Insulinausschüttung hemmen, dazu dann zusätzliches Insulin in Kombination mit Regenerationsmitteln. Am Ende ist man ein wandelnder Giftschrank. Es sind ja nicht nur sozial Schwache, die dopen, sondern auch Manager mit dem nötigen Kleingeld. Die, die nicht so viel haben, geben das aus, was sie haben. Ist man erst mal geködert, kauft man das Zeug notfalls auf Pump. Ich kenne einen Go-go-Tänzer, der auf den Strich geht, um seine Ration Anabolika zu finanzieren.

Seit Jahren touren Sie durch Deutschland, um Jugendliche zu warnen. Ist es nicht ein Kampf gegen Windmühlen?

Ich glaube schon, dass die Arbeit einiges bewirkt. Meine Geschichte ist abschreckendes Beispiel genug. Deshalb habe ich auch ein Buch geschrieben, mit dem Arbeitstitel „Auf Pump“, das kürzlich fertig geworden ist und bald erscheinen soll. Es ist wichtig, gerade Jugendlichen klar zu machen, was Doping mit ihnen anrichten kann. Ich hoffe, dass das Thema Prävention zukünftig in der öffentlichen Wahrnehmung einen stärkeren Stellenwert bekommen wird, zumal Innenminister Schäuble angekündigt hat, die Politik werde sich stärker engagieren.

Was haben Sie für die Zukunft geplant?

Die Kampagne „Doping? Hat hier keine Chance!“ ist gerade in Hamburg angelaufen. Ich spreche mit verschiedenen Fitnessstudios darüber, sich daran zu beteiligen. Saubere Studios sollen sich von den schwarzen Schafen abgrenzen können. Möglicherweise touren wir im nächsten Jahr mit einem Infobus durch Deutschland – allerdings fehlen noch Sponsoren. Es geht uns dabei nicht darum, den Kraftsport zu verteufeln, ganz im Gegenteil, sondern das Doping.