Zahl der Hungertoten steigt

854 Millionen Menschen weltweit haben zu wenig zu essen. In Rom diskutieren Experten zurzeit die Probleme der Welternährung. Deutsche Fachleute kritisieren die globale Handelspolitik und deutschen Beiträge zur Entwicklungspolitik

VON MAIKE BROZKA

Die Uhr läuft. Die rote Zahl auf dem Bildschirm tickt jede Minute 24-mal. Genauso viele Menschen sterben jede Minute den Hungertod. Aufgestellt wurde die „Hungeruhr“ auf dem Hackeschen Markt in Berlin-Mitte vom Forum Umwelt und Entwicklung. Das Netzwerk will während der Tagung der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) diese Woche in Rom die bisherige miserable Bilanz anprangern.

Die Regierungen versprachen nämlich 1996 auf dem Welternährungsgipfel in Rom die Zahl der hungernden Menschen bis 2015 zu halbieren. Stattdessen hat sich die Zahl in den letzten zehn Jahren erhöht – von 840 auf heute 854 Millionen Menschen.

„Es ist ein Skandal, dass in manchen Ländern die Menschen hungern, während wir im Überfluss leben“, sagt Bernhard Walter von Brot für die Welt. Die Organisation ist Teil des Forum für Umwelt und Entwicklung. 80 Prozent der Hungernden seien verarmte Kleinbauern auf dem Land, meistens Frauen. Obwohl sie Nahrung produzieren, haben sie nichts zu essen, weil sie zu den geringen Preisen auf dem Weltmarkt verkaufen müssen, sagt Walter. Schuld seien die hoch subventionierten Agrarprodukte aus den Industrienationen.

Armin Paasch von der Menschenrechtsorganisation Fian kritisiert, dass kaum strukturellen Änderungen wie Bodenreformen in Entwicklungsländern forciert werden. In Brasilien oder Südafrika haben die vielen Landlosen kaum eine Chance am Handel teilzuhaben. Nur durch Umverteilungen könne aber der Hunger bekämpft werden. „Da ist die Bundesregierung nicht mutig genug, dies voranzutreiben“, sagt Paasch.

Christoph Kohlmeyer vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung rechtfertig sich damit, dass er nicht einfach nach Brasilien gehen kann, um Reformen durchzusetzen. „In Namibia, Guatemala, den Philippinen und anderen Ländern haben wir aber zur Umverteilung beigetragen“, sagt Kohlmeyer.

„In Indien begehen die Bauern Selbstmord, wenn ihre Schulden zu groß werden“, erzählt Mute Schimpf von Misereor. Das Geld müssen die Inder sich leihen, damit sie das teure gentechnisch veränderte Saatgut kaufen können. Es hieß lange, dass es ertragreicher sei als normales Saatgut, aber inzwischen bauen viele Inder nach traditionellen Methoden an. „Die Schulden und der Hunger bleiben aber.“ Deshalb sei es einseitig von Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) auf Gentechnik zu setzen, um mehr Nahrungsmittel herzustellen.

Insgesamt sei das Ziel, die Zahl der Hungernden zu verringern, gescheitert, da sind sich die Kritiker einig. Kohlmeyer weist allerdings darauf hin, dass sich die Ausgangsbedingungen seit dem Welternährungsgipfel 1996 verändert haben. Politische Konflikte und Kriege hätten zum Beispiel im Sudan und an der Elfenbeinküste die Lage verschärft.

Das Problem liegt auf der politischen Ebene, sagt Kohlmeyer. Solange die WTO-Länder Zölle und Subventionen nicht abbauen, sind Produkte aus den Industrieländern billiger als die aus Entwicklungsländern.

Die Konferenz in Rom dauert noch bis Samstag. „Wir erwarten keine grundlegenden Beschlüsse“, sagt Paasch. Bis Samstag vergehen 8.640 Minuten. Und es verhungern 207.360 Menschen.