: Es ist ein Abenteuer
VON BARBARA DRIBBUSCH
Es war dieser Moment. Als der kleine Dominik da so stand, mit seinen dreieinhalb Jahren und seinen riesigen blauen Augen. „Ich dachte gleich, das isser jetzt, das ist unsrer“, erzählt Gabriele Radland*. Auch später, als die Erziehung schwierig wurde, hat Radland niemals daran gedacht, sich von Dominik wieder zu trennen. „Man entscheidet von Anfang an“, sagt die 44-Jährige, „und man sagt dann nicht nach einem Dreivierteljahr: Nee, den dann lieber doch nicht.“
Radland und ihr Mann haben inzwischen drei Kinder in Dauerpflege. Die Berliner sind eines von vielen tausend Paaren, die selbst keine leiblichen Kinder bekommen können und deshalb nach anderen Wegen gesucht haben, Eltern zu werden. Sich um ein Adoptivkind zu bewerben ist der bekannteste Weg. Dabei ist die Chance, ein Dauerpflegekind aus schwierigen Familienverhältnissen aufzunehmen, größer als die auf eine Adoption im Inland. Kann die Frau zwar schwanger werden, hat aber keinen zeugungsfähigen Partner, gibt es auch noch die Möglichkeit der Samenspende, der sogenannten donogenen Insemination.
Doch wie fremd sind diese Kinder für die Familien, die sie aufnehmen? „Die Adoption ist ein Abenteuer“, sagt Frank Licht von der Zentralen Adoptionsstelle Berlin-Brandenburg. „Es ist wie bei der Ehe, man lernt sich erst nach der Hochzeit richtig kennen“. Bei Auslandsadoptionen etwa verbringen die Eltern oft nur wenige Tage im Herkunftsland des Kindes und sollen sich dann etwa in einem Heim für ein vorgeschlagenes Kind entscheiden. „Da entsteht ziemlich viel Druck“, so Licht.
Licht berät seit zwanzig Jahren AdoptionsbewerberInnen. Es gebe in Deutschland keine konsequente Forschung, die die Probleme beleuchte, die aus einer Adaption entstehen können, bedauert er. Aber er kenne natürlich „Fälle wie jenen, wo sich der fünfjährige Adoptivsohn aus Sri Lanka als so verhaltensgestört und aggressiv entpuppt, dass er hier dann zwischenzeitlich in eine kinderpsychiatrische Einrichtung muss. Doch das kommt auch in leiblich miteinander verwandten Familien vor.“
„Die Herkunftsfamilie sitzt immer mit am Tisch“, erklärt Carmen Marquis, Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Pflege- und Adoptivfamilien (PFAD). Marquis hat selbst ein Kind adoptiert und zwei weitere zur Pflege aufgenommen. „Bei Pflegekindern handelt es sich häufig um traumatisierte Kinder, die schon Erfahrungen mit Verlassenheit, sogar mit Misshandlung gemacht haben. Sonst wären sie ja nicht der Mutter weggenommen worden“, erklärt Marquis. In ihrer Entwicklung seien diese Kinder mitunter zurück. Aber das müsse man „sich von vornherein klarmachen, dass diese Kinder nicht unbedingt alle das Abitur schaffen“.
Pflegeeltern können ein vorgeschlagenes Kind ablehnen, ohne gleich aus dem Verfahren zu fallen. Sie werden zudem von den Jugendämtern darauf vorbereitet, dass das Kind bestimmte Verhaltensauffälligkeiten haben könnte, etwa Misstrauen oder Distanzlosigkeit, Horten oder sich Herumtreiben. Alles Seiten, die in zerrütteten Familien eine Art Überlebenstechnik darstellen und deswegen nicht so leicht verschwinden. Oft müssen die Pflegeeltern Aggressionen aushalten, die eigentlich der leiblichen Mutter gelten, die das Kind zuvor vernachlässigt oder misshandelt hat.
„Wer ein Kind zur Pflege aufnehmen will, sollte immer auch ein wenig ein sozialarbeiterisches Interesse haben“, sagt Licht. Nicht alle Pflegeeltern jedoch besuchen Kurse und Schulungen. „Wir haben das auch so geschafft“, erzählt Radland. Die Logopädin ist stolz darauf, dass Dominik, der mit fast vier Jahren kaum sprach und von seiner drogenabhängigen Mutter vernachlässigt wurde, heute als 13-Jähriger in der Schule einigermaßen mitkommt. „Man muss bei Dominik aber immer hinterher sein“, sagt Radland. „Die drei Kinder sind mein Lebensjob.“
Pflegschaften und Adoptionen sind, wenn man die gesellschaftliche Schicht der Herkunfts- und die Schicht der aufnehmenden Familien vergleicht, meist „eine Beförderung von unten nach oben“, erklärt Licht. Bei Kindern, die durch eine donogene Samenspende gezeugt wurden, sogenannten DI-Kindern, ist das nicht der Fall. Die Samenspende, die Paaren mit zeugungsunfähigen Männern oder auch alleinstehenden Frauen zur Elternschaft verhilft, ist hierzulande aber erheblich stärker tabuisiert als Adoption und Dauerpflegschaft.
„Wir haben das von Anfang an offen erzählt, auch in der Verwandtschaft“, erzählt Brigitte Weitfeld*. Sie hat vor einem halben Jahr den durch eine Samenspende gezeugten Nico geboren. Die Heimlichtuerei in früheren Zeiten, als die Tatsache der Samenspende den Kindern verschwiegen oder erst im Erwachsenenalter mitgeteilt wurde, gilt heute als falsch. „Man soll das den Kindern von Anfang an schrittweise vermitteln. Am besten so, dass sie sich später nicht mehr an einen konkreten Tag der Aufklärung erinnern“, sagt Weitfeld. Sie wird dem halbjährigen Nico bald erzählen, dass sein Papa „nicht genug Samen hatte“. Ein fremder Mann habe deshalb seinen Samen geschenkt, um dem Paar zu helfen. Irgendwann werden ihre Sätze für Nico einen Sinn ergeben.
„Die Angst vor der Fremdheit war bei uns eher während der Schwangerschaft da“, erzählt Weitfeld, „ich dachte, hoffentlich sieht das Baby dann nicht gnomig aus oder so.“ Doch die Vertrautheit stellte sich mit der Geburt ein. Die „dritte Person“, der Samenspender, sei heute „ganz weg“. Sollte Nico später einmal den Samenspender kennenlernen wollen, kann er sich an die behandelnde Praxis wenden. Laut höchstrichterlichem Urteil haben in Deutschland Kinder das Recht, die Identität ihrer biologischen Eltern zu erfahren.
Petra Thorn ist Familientherapeutin im hessischen Mörfelden. Sie hat schon hunderte Eltern beraten, deren Kinder durch eine Samenspende zur Welt gekommen sind. „Die Kinder heute erleben ja häufig – nicht zuletzt durch die vielen Scheidungen –, dass andere Kinder auch nicht in traditionellen Familien groß werden“, sagt Thorn. „Das macht es leichter.“
*Namen geändert