: Israel warnt Palästinenser per Flugblatt
REAL Zahl der Toten steigt auf 180. Beiden Seiten fehlen Exitstrategien und geeignete Vermittler
JERUSALEM taz | Die israelische Luftwaffe plant offenbar einen Großangriff auf den Norden des Gazastreifens. Mit Flugblättern, über die Medien und mit Telefonanrufen hat die Armee die Bevölkerung aus den beiden Ortschaften Beit Lahia und Beit Chanun im nördlichen Gazastreifen dazu aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen. Hunderte Palästinenser suchten daraufhin Unterschlupf in UN-Einrichtungen. Die Hamas hatte zuvor appelliert, in den Häusern zu bleiben, da eine Flucht als Kapitulation gedeutet werden könne.
Täglich steigt die Zahl der Toten und Verletzten in Gaza. Vom Beginn der Bombenangriffe am Dienstag bis Sonntagmittag zählten die Krankenhäuser knapp 180 Todesfälle, darunter zahlreiche Minderjährige. In der Nacht gab es den ersten begrenzten Bodeneinsatz von Marinesoldaten, die Raketenabschussrampen zerstören sollten.
Knapp eine Woche nach Beginn von Israels Operation „Schützende Klippe“ fehlt beiden Seiten die „Exitstrategie“. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zögert trotz der massiven Raketenangriffe der Hamas in der Nacht zum Sonntag, eine groß angelegten Bodenoffensive anzuweisen.
Die Hamasführung signalisiert Bereitschaft zu Verhandlungen, sie stellt aber klare Forderungen. Israel müsse die Hamas-Aktivisten entlassen, die im Rahmen eines Geiselhandels vor drei Jahren freikamen, nun aber während der Suche nach den drei entführten Teenagern, die Ende Juni tot im Westjordanland gefunden wurden, erneut von Israel verhaftet wurden. Netanjahu wiederum geht es um einen garantiert langfristigen Waffenstillstand.
Problematisch ist zudem der Mangel an Vermittlern. Vor knapp zwei Jahren konnten die USA und Ägypten eine Eskalation aufhalten. Michael Herzog, israelischer Brigadegeneral (a. D.) und ehemaliger Verhandlungsdelegierter, glaubt, dass „Kairo aufgrund der internen Herausforderungen davor zurückschreckt, eine Rolle als Vermittler zu spielen“. Zudem sei das Verhältnis zwischen Kairo und Gaza derzeit stark belastet.
Stattdessen haben Frankreich, Großbritannien und Deutschland ihre Hilfe angeboten. Tony Blair, Chef des Nahost-Quartetts, bestehend aus USA, UN, EU und Russland, reiste am Samstag nach Kairo. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier wird Montag in der Region erwartet. „Ohne effektiven Vermittlungsmechanismus wird der Konflikt wahrscheinlich andauern“, meinte Herzog. SUSANNE KNAUL