: „Zeichen für Intimität“
VORTRAG Eine Linguistin erklärt, warum Sitzgruppen mehr sind, als schnöde Wohnzimmer-Möbel
■ 60, Professorin für Sprachwissenschaften an der Universität Zürich und Gastprofessorin an der Universität Linköping.
taz: Frau Linke, was macht Sofa-Sitzgruppen für eine Linguistin interessant?
Angelika Linke: Die Sitzgruppe ist die Materialisierung einer bestimmten kommunikativen Konstellation: der Möglichkeit, dass sich alle Leute ansehen können. Kulturgeschichtlich ist die Sitzgruppe ein relativ neues Phänomen: Sie entstand im 19. Jahrhundert, vorher gab es dieses Einrichtungsphänomen nicht.
Wie interpretieren Sie das?
Ich verbinde es mit dem großen gesellschaftlichen Wandel vom 18. ins 19. Jahrhundert – von einer kulturell adelig-dominierten Gesellschaft zu einer bürgerlichen. Die Sitzgruppe ist eine bürgerliche Konstellation.
Inwiefern?
Weil der Sitzkreis eine gewisse Egalität symbolisiert, was ein bürgerliches Ideal ist, aber auch ein Gesprächs-Ideal.
Bei Sofagarnituren denke ich eher an kleinbürgerliche Spießigkeit…
Das schließt sich nicht aus: Kleinbürgerlichkeit muss nicht das Gegenteil von Egalität sein. Wir konnotieren das mittlerweile mit Spießigkeit. Aber kulturgeschichtlich ist die Sitzgruppe ein Zeichen für Intimität und Privatheit: Der Adel ist per se öffentlich, der Bürger hingegen hat sowohl Teil an der öffentlichen Sphäre, ist aber auch Privatperson. Hier sind die Sofas zu Hause. Mitte des 20. Jahrhunderts ist allerdings der Fernseher in diese Konstellation eingebrochen…
Was aber nicht Ende der Sitzgruppe bedeutet?
Nein. Umfragen belegen, dass sie bis heute ein typisches Element der deutschen Wohnzimmer ist. Eine spannende Entwicklung ist, dass Sitzgruppen nach draußen wandern, in die Bibliotheken und Kneipen. Das ist eine Eroberung der Öffentlichkeit durch die Privatheit: Die Öffentlichkeit wird privatisiert.
Warum ist es nicht umgekehrt?
Weil heute auch sonstige private Verhaltensformen öffentlich möglich sind, etwa das Enthüllen im Fernsehen. Auch gibt es nicht mehr den Anspruch, sich öffentlich kleiden zu müssen. Lounge-Möbel bringen die Leute dann neuerdings wieder in eine parallele Orientierung. Man sitz nebeneinander, es ist nicht mehr wichtig, sich in die Augen zu schauen – eine Ko-Orientierung auf den Fernseher. Interview:jpb
19 Uhr, Uni Bremen, GW2, B3850