: Punktsieg für die Polizei
ATOMTRANSPORT Mit nur geringer Verzögerung erreicht der Castor-Transport das Zwischenlager bei Lubmin. Innenminister: Keine weiteren Transporte geplant
AUS LUBMIN JAN MICHAEL IHL
Die Polizei hat aus ihren taktischen Fehlern gelernt: Anders als beim teilweise chaotisch verlaufenen Castor-Transport im Dezember 2010 hatten die Beamten gestern alles im Griff. Zwar hatten einige hundert Aktivisten an der Bahnstrecke Greifswald–Lubmin bis zum Morgengrauen versucht, den Zug aus dem früheren Atomforschungszentrum Karlsruhe ins Zwischenlager Nord bei Lubmin aufzuhalten. Mehrere Stunden hatten sie auf den Gleisen verbracht, schon als der Zug noch bei Stralsund wartete. Bei Sonnenaufgang räumten Polizisten jedoch die letzten Blockaden, sodass um 8.12 Uhr der Zug aus fünf Castoren und 14 Personenwaggons sein Ziel „Zwischenlager Nord“ bei Lubmin erreichte. Erfolg der Aktion: vier Stunden Verspätung. Im Dezember waren es 13 Stunden gewesen.
Diesmal war die Polizei vorbereitet: Auf einigen hundert Metern entlang der Bahnstrecke zwischen Greifswald und Lubmin, wo es im Dezember zu einer großen Sitzblockade gekommen war, hatte die Polizei Flutlicht aufgebaut. Die Bahnstrecke wurde mit Georadar überwacht.
Gestern wurde aufs Tempo gedrückt und härter durchgegriffen: Eine Augenzeugin teilte der taz mit, bei Magdeburg den Zug im Auto verfolgt zu haben: „Hundert Stundenkilometer fuhr der auf jeden Fall“, hieß es. Sie habe mit vier weiteren Aktivisten hinter Magdeburg versucht, den Zug durch Zeigen einer roten Handleuchte zu stoppen, einem gängigen Eisenbahn-Warnsignal, das einen Stopp eigentlich vorschreibe. Der Zug habe sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen und sei mit unvermindert hohem Tempo durchgefahren. Außerdem häuften sich Klagen von Aktivisten über Platzverweise und Einsatz von Pfefferspray. Die Polizei wies Vorwürfe zurück, sie sei „superbrutal“ vorgegangen. Laut Anti-Atom-Bündnis Nord-Ost konnte ein Aktivist am Mittwoch vor dem Greifswalder Verwaltungsgericht einen weiträumigen Platzverweis bis zum 17. Februar abwehren, den ihm Landespolizisten erteilt hatten. Das Gericht stellte demnach fest, dass der Platzverweis „sowohl formal als auch materiell offensichtlich rechtswidrig“ sei.
Proteste gab es zuvor auch entlang der Strecke und in Karlsruhe. Bei Halle hatten sich zwei Aktivisten der Organisation „Robin Wood“ an einem Drahtseil von einer Eisenbahnbrücke abgeseilt. Die Castoren mussten etwa eine Stunde warten. Die Abfahrt in Karlsruhe am Mittwochmorgen um 3.15 Uhr hatten mehrere hundert Demonstranten verzögert, die sich am späten Dienstagabend im Rahmen einer „Nachttanzblockade“ versammelt hatten. Die Polizei räumte schließlich Aktivisten mitsamt Schienen von der Straße.
Die Castor-Behälter enthalten diesmal je 28 Glaskokillen, insgesamt 56 Tonnen eines Gemischs aus Glas und „Plutoniumsuppe“ aus der Versuchs-Wiederaufarbeitungsanlage im früheren Kernforschungszentrum Karlsruhe. Zwischen 1971 und der Stilllegung der Versuchsanlage 1990 entstanden dort 60.000 Liter hochradioaktiver Flüssigkeit, die bisher auf dem Gelände in zwei Edelstahltanks lagern. Die Lösung enthält laut Betreiber zwölf Kilogramm Plutonium, etwa 600 Kilogramm Uran und jede Menge Spaltprodukte. Im Herbst 2009 wurde begonnen, die Lösung zu verglasen. Die Verglasung bringt die Abfälle in feste Form und macht sie damit transportfähig. Greenpeace kritisiert, dass über die Verarbeitung im Kernforschungszentrum auch Atommüll aus der Industrie zu Forschungsmüll umdeklariert worden sei, etwa 70 Prozent des Mülls stammen laut Bundesumweltministerium nämlich aus kommerziellen Reaktoren.
Der Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU), bewertete die Demonstrationen zum größten Teil als friedlich, er habe sich davon persönlich überzeugt. „Ich gehe davon aus, dass keine weiteren Castor-Transporte“ nach Lubmin rollen werden, sagte Caffier. Warnungen davor, es würden noch weitere Castoren ins „Zwischenlager Nord“ kommen, wies er als „Stimmungsmache“ zurück.